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Seit 2011: Fukushima außer Kontrolle

b_215_215_16777215_0_0_images_stories_akt18_180311-fukushima_f1.jpgAm 11.März 2011 gab es vor der Ostküste Japans ein Erdbeben der Stärke 9,0.
- bereits durch das Erdbeben wurden Atomreaktoren schwer beschädigt und es gab  Probleme mit der Stromversorgung, dem Kühlkreislauf und diverse Funktionsstörungen
- das gewaltige Seebeben löste den Tsunami aus, in Folge des Erdbebens und des Tsunami starben über 18.000 Menschen, wurden 375.000 Gebäude zerstört oder stürzten ein
- 170.000 Menschen wurden wegen der hohen radioaktiven Strahlung evakuiert und verloren Hab und Gut.
- durch den Bau und Betrieb von Atomkraftwerken in einer permanenten Erdbebenregion hat die japanische Regierung und die Atomindustrie grob fahrlässig einen Super-GAU einkalkuliert.

Radioaktive Gefahr ohne Ende

Es kam in drei Atomreaktoren in Fukushima 2011 zum Super-GAU, zur radioaktiven Kernschmelze. Bis heute dauert die unkontrollierte, gesundheitsgefährdende Freisetzung von Radioaktivität in die Umgebung und das Meer an. Unter den gesundheitlichen Auswirkungen leiden besonders die Kinder. Von den 48 Atomkraftwerken in Japan sind erst 5 wieder ans Netz gegangen, der Widerstand vor Ort hat weitere Inbetriebnahmen verhindert. Die olympischen Spiele, die 2020 in Japan stattfinden, sollen der Welt vortäuschen: der Super-GAU ist beherrschbar, ungefährlich und Vergangenheit. In Wirklichkeit gefährdet die Radioaktivität noch Jahrhunderte lang Menschen, Umwelt und Meer.

Strahlengefährdung noch für viele weitere Generationen

Krebs- und Leukämieerkrankungen: Es zeigt sich die gleiche ansteigende Krankheitskurve wie in den Folgejahren nach dem Super-GAU in Tschernobyl 1986. Bei Kindern werden Anomalien der Schilddrüse wie Knoten und Zysten festgestellt, die Zahl der an Schilddrüsenkrebs Erkrankten ist mittlerweile doppelt so hoch wie in unbelasteten Gebieten. Bereits über 40% der Kinder in der Umgebung von Fukushima haben Anomalien der Schilddrüse wie Knoten und Zysten.

Evakuierungen:
Die japanische Regierung richtete nur eine 20-km-Evakuierungszone ein, in besonders verstrahlten Gebieten wurde nachträglich teilweise bis zu 30 km evakuiert. Die 170.000 Evakuierten haben nur minimale Entschädigungen und Hilfen bekommen. Es gibt bis heute radioaktiv belastete Gemeinden außerhalb der 30-km-Zone.Die japanische Regierung ordnet jetzt sogar an, dass ehemals evakuierte Gebiete wieder besiedelt werden müssen. Dort besteht die radioaktive Gefährdung weiter. Bei einer Weigerung wird den Menschen die Opferunterstützung gestrichen.

Strahlung und Dekontamination:
Im Umkreis von 180 km um Fukushima gibt es hohe radioaktive Strahlenwerte, die eine akute Gesundheitsgefährdung darstellen. Die Regierung hat den Menschen geraten, ihre Hausdächer abzuwaschen und die Erdoberfläche abzutragen. Die Strahlung kann dadurch jedoch nicht beseitigt, sondern nur anders verteilt werden. So stehen inzwischen im ganzen Land an vielen Stellen Berge mit großen Plastiksäcken, die radioaktive Erde enthalten. Die Strahlung wird permanent durch die Nahrungskette, durch Wind und Regen weiter verteilt. Ein gezieltes Vorgehen der Behörden zur Minimierung der Strahlengefahr für die Menschen gibt es nicht. Sie wird tabuisiert.

Manipulation von Strahlenmessungen

b_215_215_16777215_0_0_images_stories_akt18_180311-fukushima_f2.jpgIm Distrikt Fukushima wurden von den Behörden über 3000 Messstationen eingerichtet. Unabhängige Überprüfungen haben jedoch ergeben, dass dort nur ca. die Hälfte der vorhandenen Strahlung tatsächlich angezeigt wird. Da alle Messgeräte falsche Werte anzeigen. gibt es den berechtigten Verdacht, dass sie systematisch manipuliert wurden. Teilweise wurden sie auch auf Bleiplatten gestellt, um die Bodenstrahlung abzuschirmen. Die Regierung ruft landesweit zur Solidarität mit den Menschen von Fukushima auf, indem von dort Nahrungsmittel gekauft werden sollen. In Supermärkten gibt es dazu extra eingerichtete Bereiche. Medizinische Untersuchungen auf radioaktive Belastungen gibt es keine mehr, da ja laut Regierung keine Gefahr mehr vorhanden ist.
Atomruinen und verstrahltes Wasser: in den zerstörten Atomreaktoren wurden aufgrund der hohen radioaktiven Strahlung bereits zehntausende von Arbeitern eingesetzt. Viele davon durch sog. „Subunternehmen“. Über eine wirksame Strahlenkontrolle und über Gesundheitsuntersuchungen gibt es keine Informationen. Seit 2011 fallen täglich mehrere hundert Tonnen an kontaminiertem Wasser an. In tausenden von Tanks wird versucht es aufzufangen. Trotzdem gelangt es in das Grundwasser und ins Meer. Jetzt plant die japanische Regierung sogar verstrahltes Wasser aus den Tanks ins Meer einzuleiten. Dabei erreicht die Radioaktivität von Fukushima bereits jetzt über das Meer alle Kontinente, über den Fischfang auch die Nahrungskette der Menschen.

Japan am Rand der Kontinentalplatten

Japan liegt auf dem sogenannten Feuerring, einem 3000 km langen Abschnitt, an dem vier Kontinentalplatten aufeinander stoßen. Die pazifische Platte schiebt sich jährlich etwa 8 cm von Ost nach West unter die eurasische Platte. Diese wird dadurch gestaucht und wölbt sich. Das Entladen der dadurch entstehenden Spannung löst regelmäßig Erdbeben aus. Deshalb gab und gibt es in Japan schon immer schwere Erdbeben und es besteht eine permanente Tsunami-Gefahr. Das Erdbeben am 11.03.2011 war so stark, dass sich an vielen Orten die Topographie in Japan verändert hat. Der Boden ist teilweise um bis zu 1,5 Meter abgesackt, es gab Verschiebungen um über 5 Meter in südwestlicher Richtung.
Der Bau von Atomkraftwerken war in Japan auch wegen der Erdbeben schon immer verantwortungslos. Nachträglich hat Tepco noch zugegeben, die bestehenden Erdbebenvorschriften zum Bau und Betrieb der Atomkraftwerke selbst nicht eingehalten zu haben.

-> weiterlesen: Das Atomdorf

 


Das Atomdorf

In Japan wurde die gesamte Industrialisierung vom Staat schon immer in enger Zusammenarbeit mit der Industrie betrieben. So entstand auch ab 1954 - trotz Hiroshima und Nagasaki - auf der Grundlage eines neuen Gesetzes der atomare Komplex und somit eine enge Zusammenarbeit und Verflechtung zwischen Politikern, Behörden, Wirtschaftsverbänden und Elektrizitätskonzernen, atomhörigen Wissenschaftlern, sowie den Massenmedien. Dieses verfilzte System der atomaren Interessen wird in Japan „das Atomdorf“ genannt.
In Japan gibt es insgesamt 10 Energiekonzerne, die über eine Monopolstellung die Macht zur Elektrizitätserzeugung und die Gebietsmonopole unter sich aufgeteilt haben. Der größte davon ist Tepco mit 39.000 Mitarbeitern und Betreiber der Fukushima Atomreaktoren. Mit seinen 17 Atomkraftwerken und weiteren 173 Elektrizitätswerken hatte Tepco ein Drittel des Stroms erzeugt. Insgesamt waren in Japan vor Fukushima 54 Atomkraftwerke in Betrieb. Trotz massiven Drängens des Atomdorfes gelang dem Widerstand aus der Bevölkerung vor Ort, das Anfahren von AKWs weitgehend zu verhindern. Erst 5 AKWs konnten wieder in Betrieb genommen werden.

Staatlicher Filz und Atomindustrie in Japan

Die Behörden, die für die Sicherheit und Kontrolle der AKWs verantwortlich sind, sind gleichzeitig für die Förderung der Atomenergie zuständig. In den Gremien zur Förderung sitzen dann Vertreter der Energiekonzerne als Berater mit am Tisch. Deshalb gab und gibt es in Japan de facto keine Atomaufsicht, die gegen die Interessen der Atomkonzerne handelt. Gravierende Sicherheitsmängel werden vertuscht, Protokolle und Daten in Sicherheitsberichten gefälscht.
Wenn einflussreiche Beamte pensioniert werden, erhalten sie eine lukrative Stelle in einer der Firmen, zu denen zuvor langjährige Beziehungen bestanden. Es ist üblich, dass ranghohe Politiker in die Elektrizitätsindustrie wechseln. So werden beispielsweise bei einigen Energiekonzernen immer die Posten der stellvertretenden Vorsitzenden mit Politikern besetzt. Die Energiekonzerne sind seit ihrem Entstehen die größten Geldgeber der Politik. Aus den Büchern der LPD - der liberaldemokratischen Partei – geht hervor, dass seit 1976 mehr als 70% der Individualspenden an die Partei von leitenden Angestellten Tepcos gemacht wurden. Für atomare Forschung und Entwicklung gibt der japanische Staat seit Jahrzehnten jährlich mehrere Milliarden Euro aus.
Nach Fukushima sollten neue Sicherheitsbestimmungen für Atomkraftwerke konzipiert werden: Kurz danach wurde bekannt, dass 4 von 6 Mitgliedern dieser Kommission in den letzten Jahren Zahlungen der Atomindustrie in Form von Honoraren, Spenden oder Stipendien erhalten haben.

Olympische Sommerspiele 2020 in Japan:
Radioaktive Gefährdung wird tabuisiert

b_215_215_16777215_0_0_images_stories_akt18_180311-fukushima_f3.jpgDistrikt Fukushima: Tepco über alles. In der Gemeinde Futaba hatte Tepco ein großes Sport- und Trainingszentrum für die japanische Fußballnationalmannschaft gebaut. Natürlich durften dort auch die Mannschaften von Futaba spielen und trainieren. Und natürlich gab es in der Vergangenheit nie einen Zusammenhang von Schmiergeldaffären mit dem Errichten von weiteren Atomkraftwerken in Fukushima. Dumm gelaufen. Tepco ist seit Fukushima ein zahlungsunfähiger Konzern, der nur mit staatlichen Milliarden weiter existieren kann. Seit 2011 ist dort die Sperrzone. Im Sportzentrum sind die Feuerwehrleute, das Hilfspersonal und die Ingenieure untergebracht, die in den verseuchten Atomruinen von Fukushima arbeiten müssen. Hier essen, wohnen und schlafen sie, auf dem firmeneigenen Gelände von Tepco. 2020 finden in Japan die olympischen Sommerspiele statt. In diesem Sportzentrum sollen dann nach den Planungen der Regierung wieder Athleten untergebracht werden, trotz der gesundheitsgefährdenden Strahlung. Diese wird inzwischen von allen staatlichen Stellen und der Regierung tabuisiert. Auch die europäischen Regierungen ignorieren bewusst diese Gefährdungen, schweigen zu den Langzeitfolgen des Super-GAU.

Widerstand und Selbsthilfe

Der größte Erfolg der japanischen Anti-AKW-Bewegung ist es, dass bis jetzt die erneute Inbetriebnahme von Atomkraftwerken weitgehend verhindert werden konnte. Dies gegen den Willen des gesamten „Atomdorfes“, durch Proteste in Tokio und Widerstand im ganzen Land.
Auf lokaler und regionaler Ebene gelang es den Menschen bereits in der Vergangenheit, den Bau von neuen AKWs in Japan zu verhindern. Die Fischer wehren sich auch heute erfolgreich gegen die Pläne von Tepco und der Regierung, radioaktiv verseuchtes Wasser von Fukushima einfach ins Meer zu leiten.
Nach der Atomkatastrophe wurden die Menschen von der Regierung im Stich gelassen. Sowohl die Evakuierten, wie alle anderen, die in Gebieten mit einer hohen Strahlung weiter leben sollen. Wie bereits seit Jahrzehnten bei zahlreichen Atomunfällen und Skandalen versuchen seit 2011 Tepco und die Regierung, die Gefahren des Super-GAU zu vertuschen und zu leugnen.
In Japan entstanden viele Selbsthilfe-Initiativen in Wohngebieten, in Kindergärten und Schulen, auch zur medizinischen Betreuung und Versorgung. Hilfe zur Selbsthilfe, da die Regierung die Linie vertritt, es gäbe keine radioaktiven Gefahren mehr, und alle staatlichen medizinischen Hilfsmaßnahmen daher gestoppt wurden. Es gibt in ganz Japan eine neue Anti-AKW-Bewegung, die auch international arbeitet und um Unterstützung bittet. Beispielsweise zur Finanzierung der medizinischen Untersuchungen und zum Betrieb von eigenen Messstationen.
Unterstützt die japanische Anti-Atom-Bewegung!

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IPPNW -  Atom-Energie-Newsletter
Der Fukushima-Newsletter erscheint seit Juli 2011. Das Themenspektrum dieses Newsletters  wurde 2016 erweitert und dieser in ATOM-Energie-Newsletter umbenannt. Er wird von den  Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) und dem Informationsdienst Strahlentelex (www.strahlentelex.de) herausgegeben und informiert weiter auch über die Auswirkungen der Atomkatastrophe in Japan. http://www.ippnw.de/aktiv-werden/newsletter-abonnieren.html

Spreadnews
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Spreadnews berichtet tagesaktuell in deutscher Sprache aus Fukushima und Japan.
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