Sicherheitsdefizit: Keine Materialproben mehr in Neckarwestheimer Atomkraftwerk
(Gemeinsame Presseerklärung des Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar e.V und des Aktionsbündnis CASTOR-Widerstand Neckarwestheim) Aktualisiert 30.11.2006. mit weiterführenden Links.

b_215_215_16777215_0_0_images_stories_akt_2006_gefahrstrom_enbw_neckarwest.jpgSämtliche Materialproben, die zu Prüfzwecken der direkten radioaktiven Strahlung ausgesetzt wurden und anhand derer festgestellt werden kann, wie weit die Versprödung des Reaktorbehälters fortgeschritten ist, sind für das GKN 1 und das GKN 2 aufgebraucht.
Wie Landesumweltministerin Gönner vor kurzem in einer Antwort auf eine von den Bürgerinitiativen initiierten Anfrage des Grünen-Abgeordneten Franz Untersteller bestätigte, sind alle Materialproben bereits aus den Reaktoren entfernt worden – die letzte bei der diesjährigen Revision aus dem Block 2 des GKN. Zukünftig werden nur mehr statistische Wahrscheinlichkeitsrechnungen möglich sein, auf die sich die Ministerin in ihren Prognosen verläßt

Damit sind tatsächliche Werkstoff-Kontrollen über den Zustand im AKW zukünftig nicht mehr möglich.


Anti-Atom-Bürgerinitiativen sprechen deshalb angesichts drohender Laufzeitverlängerungen von einem noch weiter zunehmenden Sicherheitsdefizit:
Wenn man Vorhersagen nicht mehr durch reale Materialproben überprüfen könne, komme dies einem „Blindflug“ der Anlagen gleich, so die Bürgerinitiativen.

Durch die Lagerung der Materialproben in unmittelbarer Nähe der strahlenden Brennelemente war bisher eine vorausschauende Materialprüfung möglich, da die Bestrahlungsintensität, denen die Probe-Werkstoffe ausgesetzt sind, die tatsächliche Bestrahlung des Reaktorbehälters übersteigt (sog. Voreilproben). Dieses Bestrahlungsüberwachungsprogramm erfasst bisher den Grundwerkstoff und das Schweißgut des Reaktordruckbehälters. Die Auswertung der Proben nach Entnahme erfolgt entsprechend der Regeln des Kerntechnischen Ausschusses (KTA).

Hintergrund ist, das bei Inbetriebnahme der AKWs nur eine begrenzte Anzahl von eingelagerten Materialproben ( in der Regel eine unbestrahlte Referenz-Probe und zwei bestrahlte Proben ) vorgesehen waren – wegen deren begrenzter Laufzeit.

Der Neckarwestheimer Block 1 wird seit 1984 „im Blindflug“ betrieben: Mit jedem Betriebsjahr steigt die Unsicherheit über die tatsächlich vorliegende Materialermüdung, die wegen der radioaktiven Dauerbestrahlung nicht zu umgehen ist.
Gerade beim Block 1 gelten insgesamt veraltete Sicherheitskriterien: Allein, dass die Auswertung der Materialproben vor über 20 Jahren (!) stattfand, belegt dies.

Der Sachbeistand der Bürgerinitiativen, der Atomexperte Wolfgang Neumann von der Gruppe Ökologie (Hannover) spricht davon, dass die Umgangsweise mit den Materialproben nicht dem heutigen Stand der Vorschriften entspreche und die nachzuweisende Sprödbruchsicherheit dadurch weniger belastbar sei.

Der Block 1 erfüllt dabei nicht die heute geltenden Umgangsregeln des Kerntechnisches Ausschusse (KTA Regel 3203, Fassung 2001), was den Einlagerungszeitpunkt und den Entnahmezeitpunkt der Proben anbelangt.

Die Aussagen von Frau Gönner sind politische Aussagen, sie sind wissenschaftlich nicht korrekt, was das Problem der Bewertung der Gamma-Strahlung und den sog. Neutronenflussdichteeffekt betrifft.

Überhaupt ist festzuhalten: Aufgrund von 3 Probensätzen ist statistisch keine belastbare Aussage über den Materialzustand zu erhalten – für die neueren Anlagen bestehen hierfür aufgrund des sog. Konvoi-Ekffektes ( Gleiches verwendetes Material bei allen neueren AKWs ) eine klarere Aussagemöglichkeiten.

Im Atomgesetz (ATG) sind die Genehmigungsvoraussetzungen für eine Strommengenübertragung festgeschrieben – u.a. das Einhalten aktueller Sicherheitsstandarts – diese sind für das GKN 1, bezüglich der Sprödbruchsicherheit, nicht nachzuweisen. Dieses Sicherheitsdefizit ist auch nicht mehr korrigierbar.
Eine Laufzeitverlängerung für den Block 1 ist deshalb nur möglich, wenn politisch das Gesetz „gebogen“ wird. Darauf scheint sich die ENBW verlassen zu wollen.

Eine ähnliche Diskussion zu grundsätzlichen Sicherheitserwägungen gab es bereits bei den CASTOR-Behältern – schon lange fordern die Bürgerinitiativen „echte“ Tests an einem „echten“ CASTOR-Behälter ein und geben sich nicht mit theoretischen Überlegungen und darauf aufbauenden Berechungen zufrieden.

Willfährig spricht Umweltministerin Gönner sogar von möglichen 80 bzw. sogar 120 Laufzeitjahren für das GKN 1 bzw. 2. Das mag ein schönes Weihnachtsgeschenk für die EnBW sein, mit der amtlichen Kontrollfunktion als Atomaufsichtsbehörde hat dies nichts zu tun, noch weniger mit notwendiger wissenschaftlicher Sorgfältigkeit.

Die Erfüllung ökonomischer Wünsche des Betreibers ENBW steht an erster Stelle der Landesregierung. Ministerpräsident Oettinger setzt sich massiv für den Weiterbetrieb von Atomanlagen in unverantwortlicher Weise ein. Der notwendige Schutz der Bevölkerung interessiert ihn offensichtlich kaum.

Eine Laufzeitverlängerung stellt für die Bürgerinnen und Bürger in den betroffenen Gebieten eine Zumutung dar und wird von den Bürgerinitiativen massiv abgelehnt.

> Kurze bewertung der Situation hinsichtlich Voreilproben bei GKN I (Dipl.-Phys. W. Neumann)

> Antwort auf Lantagsanfrage " Werkstoffprobensätze in den badenwürttembergischen Kernkraftwerken"

> "
KTA 3203"