22.05.2010, 12:01:17 Uhr

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aetselraten-um-russisches-uran.html_
(http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2494071_0_9223_-neckarwestheim-raetselraten-um-russisches-uran.html)


Neckarwestheim: Rätselraten um russisches Uran

Wer auf der Internetseite der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) den
Suchbegriff ´Russland´ eingibt, erhält vor allem Erfolgsmeldungen.

Ganz oben wird über einen hohen russischen Orden berichtet, mit dem der
frühere Konzernchef Utz Claassen angeblich als ´erster Ausländer überhaupt´
dekoriert wurde. An zweiter Stelle folgt der Besuch des russischen
Präsidenten Wladimir Putin beim EnBW-Stand auf der Hannover-Messe 2005.
Weiter unten
geht es um Gaslieferungen aus dem Osten oder um russische Sportler. Die
spannendste Meldung zu Russland, die seit Monaten Mitarbeiter, Manager und
Aufsichtsräte umtreibt, findet sich nicht in der Übersicht. Denn die
Landesbezeichnung fehlt im Text ebenso wie andere Schlüsselbegriffe. Es ist
die im
Februar veröffentlichte Pressemitteilung zu den vorläufigen Geschäftszahlen
für 2009.

Ein halber Absatz handelte darin von vorsorglichen ´Wertberichtigungen im
Kraftwerksbereich´ in der Höhe von 116,5 Millionen Euro. Verträge seien
möglicherweise nicht erfüllt worden, heißt es lapidar, man prüfe derzeit
´sämtliche Aspekte´.

Worum geht es bei den ´Wertberichtigungen´ wirklich?

Erst allmählich wird bekannt, was dahintersteckt. Mit dem
´Kraftwerksbereich´ ist die Atomsparte gemeint, in den Verträgen geht es um
hochsensible
Geschäfte mit Russland - die Lieferung von Nuklearbrennstoffen, auch aus
militärischen Beständen, oder Pläne zur Überwachung und Entsorgung von
strahlendem Material. In diesem Kontext klingt es beunruhigend, wenn das
Unternehmen ´mangelhafte Vertragserfüllung´ vermutet oder nicht sicher ist, ob
´Regeln und interne Vorgaben´ eingehalten wurden.

Wie ernst die EnBW die aus den Jahren 2005 bis 2008 datierenden Vorgänge
nimmt, zeigt ihre scharfe Reaktion. ´Umgehend´ nach deren Bekanntwerden im
vorigen Jahr - wie sie ans Licht kamen, bleibt unklar - habe man externe
Gutachter beauftragt, teilte der Stromkonzern auf StZ-Anfrage mit. Sie sollen
die ´näheren Umstände der vertraglichen Beziehungen´ durchleuchten. Die
Ergebnisse lägen noch nicht vor, parallel dazu liefen Nachverhandlungen.
Eingeschaltet ist nicht nur der Vorstand unter Utz Claassens Nachfolger
Hans-Peter Villis, sondern auch der Aufsichtsrat mit den Vertretern der
oberschwäbischen und französischen Großaktionäre. Die geben sich bei dem
heiklen Thema
äußerst zugeknöpft - es gilt offenbar die höchste Diskretionsstufe.

Auch in der Belegschaft ist nichts Näheres über die möglichen
Unregelmäßigkeiten bekannt. Umso lebhafter wird darüber spekuliert, zumal
sich bereits
irritierte Geschäftspartner erkundigen. Wo sind die abgeschriebenen
Millionen geblieben? Flossen womöglich Schmiergelder, was auch die Justiz
interessieren könnte? Oder ist gar radioaktives Material verschwunden? Auf
Letzteres gebe es ´keinerlei Hinweise´, versichert die EnBW, Erkenntnisse über
Korruption lägen nicht vor, ´derzeit´ sehe man keinen Grund für den Gang zur
Staatsanwaltschaft. Selbst die Atomaufsicht im Stuttgarter Umweltministerium
wurde bisher nicht offiziell informiert.

Ökonomie statt Ideologie

Die Untersuchungen werfen ein Schlaglicht auf eine Geschäftsbeziehung, die
bisher nicht an die große Glocke gehängt wurde. Seit den siebziger Jahren
unterhalten die deutschen Reaktorbetreiber - auch die EnBW und ihre
Vorläuferunternehmen - Kontakte in die einstige Sowjetunion. Als überall sonst
noch der Kalte Krieg herrschte, arbeitete man im Bereich der Nuklearwirtschaft
bereits gut zusammen; gemeinsame ökonomische Interessen waren wichtiger
als ideologische Differenzen.

Mit dem Fall der Blockgrenzen und der atomaren Abrüstung eröffneten sich
für die Energiebranche ganz neue Möglichkeiten. Hochangereichertes Uran aus
russischen Militärbeständen sollte fortan zu Brennelementen für westliche
Kernkraftwerke verarbeitet - und damit unschädlich gemacht werden. Die
ersten Versuche im Meiler Obrigheim verliefen Mitte der neunziger Jahre
vielversprechend, einige Jahre später wurde auch Neckarwestheim beliefert.
Gefertigt wurden die Pellets schon damals bei der Firma MSZ (Maschinstroijtelni
Zavod) Elektrostal östlich von Moskau, wo sie heute noch herkommen. Das Uran
stamme etwa aus den Reaktoren von Unterseebooten oder Eisbrechern, erläutert
die EnBW. Inwieweit auch Atomwaffen verwertet würden, wisse man nicht; das
gehe aus den Verträgen nicht hervor.

Russland konnte beim Abrüsten noch verdienen, die Energiekonzerne kamen
vergleichsweise günstig an Brennstoff - alle Seiten schienen zufrieden. Nur
alle paar Jahre flackerte in Deutschland Protest auf. Mal äußerte Greenpeace
Zweifel an den Sicherheitsbedingungen und Produktionsstandards in Russland,
mal wurde in Niedersachsen anlässlich einer Landtagsanfrage räsoniert,
welche Rolle die ´russischen Mafia´ in der Atomwirtschaft spiele. Doch mit der
Qualität der Brennelemente gab es keine Probleme, wie das für die
Atomaufsicht zuständige Stuttgarter Umweltministerium bestätigt. Bei der
mehrstufigen und engmaschigen Kontrolle - einmal reiste sogar ein Beamter aus
Baden-Württemberg nach Elektrostal - sei es nie zu Auffälligkeiten gekommen.

Die Aufseher von Ressortchefin Tanja Gönner (CDU) akzeptieren es denn
auch, dass die EnBW sie bisher nicht über die möglichen Unregelmäßigkeiten
informiert hat. Aus kaufmännischen Vorgängen, heißt es, halte man sich bewusst
heraus. Doch je nach Art etwaiger Verstöße, sagen unabhängige Experten,
könnten auch diese sicherheitsrelevant sein: dann nämlich, wenn sie Zweifel an
der Zuverlässigkeit des Betreibers nährten. Dafür habe man aber keine
Anhaltspunkte, bekunden die Kontrolleure des Landes. Ob andere
Regierungsstellen in Bund oder Land informiert sind, war von der EnBW nicht
zu erfahren.
Ratsam wäre es: Gönner und Ministerpräsident Stefan Mappus kämpfen gerade für
längere Laufzeiten der Atommeiler, da sollten sie über mögliche
Angriffsflächen Bescheid wissen.

Verbindungen nach Moskau

Zumindest in zwei Punkten wird der Karlsruher Energiekonzern auf Nachfrage
etwas konkreter. Bei den Dienstleistungen, die jetzt näher untersucht
werden, gehe es unter anderem um den Rückbau des stillgelegten Kernkraftwerks
Obrigheim. Dabei habe man geprüft, ´Bauteile in einem speziellen Ofen in
Russland einzuschmelzen und erneut dem Stoffkreislauf zuzuführen´. Bisher
wurde daraus offenbar nichts. Wenn tatsächlich Reaktorschrott gen Osten
gebracht werde, müsste das Stuttgarter Umweltministerium eingeschaltet werden -
doch dem ist nichts bekannt.

Auch sonst habe man keine strahlenden Stoffe nach Russland entsorgt,
versichert die EnBW. Genau wegen diesen Verdachts war der Großaktionär
Electricité de France (EdF) Ende vorigen Jahres in die Schlagzeilen geraten.
Viel
Wirbel gab es damals um radioaktive Rückstände aus Frankreich, die angeblich
in Sibirien unter freiem Himmel lagerten. Offiziell hieß es in beiden
Ländern indes, alles sei in bester Ordnung.

Geprüft wird nun auch ein Projekt, das die EnBW gemeinsam mit einem
umtriebigen russischen Geschäftsmann realisieren wollte. Andrej Bykov heißt der
Moskauer, der bereits vor Jahren in der Schweiz größeres Aufsehen erregte.
Die von ihm geführte Aktiengesellschaft mit dem Namen ´Nuclear Disarmament
Forum´ (Abrüstungsforum) vergab 2002 mit viel Trara mehrere Friedenspreise.
Preisträger waren unter anderem der russische Präsident Putin, der freilich
nicht persönlich erschien, und der südafrikanische Erzbischof Desmond
Tutu. Die Verleihung nahm Putins Vorgänger Michail Gorbatschow vor, moderiert
wurde der Festakt von den Showdamen Michelle Hunziker und Lolita Morena, es
musizierte das russische Nationalorchester.

Doch trotz des hohen Glamourfaktors wurde die Veranstaltung im Casino der
Stadt Zug von Misstönen begleitet. Die Schweizer Greenpeace-Organisation
bescheinigte der ´skurrilen Friedensinitiative´, sie diene nur als
imagefördernder Deckmantel für die Interessen der europäischen
Atomwirtschaft. Das
sehe man schon daran, dass das Forum einst vom Brennstoffeinkäufer des
grenznahen Reaktors Leibstadt gegründet worden sei. Auch Schweizer Zeitungen
kritisierten, ein großes Geschäft werde nach dem Motto ´Schwerter zu
Pflugscharen´ als Wohltätigkeit verbrämt. Und Regionalpolitiker aus dem
Kanton Zug
blieben dem Festakt demonstrativ fern. Bykov zeigte sich von alldem
unbeeindruckt: Er werde sich weiterhin für die Vernichtung der Atombomben
engagieren, wurde er zitiert.

Undurchsichtiges Personalgeflecht

Worum aber ging es bei den gemeinsamen Aktivitäten mit der EnBW? In zwei
Gesellschaften aus Bykovs Schweizer Firmengeflecht, die alle unter der
gleichen Zürcher Adresse (Stockerstraße 50) residierten, war der Karlsruher
Konzern hochrangig vertreten: durch den heutigen Technikvorstand Hans-Josef
Zimmer, zuvor Chef der Kernkraftgesellschaft EnKK, den langjährigen
kaufmännischen Geschäftsführer von Neckarwestheim und EnKK, Wolfgang Heni, und
den
Generalbevollmächtigten Konzernfinanzen, Ingo Peter Voigt. Mal fungierten sie
als Verwaltungsrat, mal als Geschäftsführer.

Bei einer der Firmen, ETS Premium, war Heni laut Handelsregister bis
November 2009 sogar Präsident des Verwaltungsrats. Daran erinnerte er sich indes
erst bei der zweiten StZ-Nachfrage: Den Posten habe er ´in der Tat
vergessen´. Der Zweck der Aktiengesellschaften war vage formuliert. Bei Easy
Toll
Systems, der zweiten Firma, ging es um ´Sicherheits-, Maut- und
Kontrollsysteme für Verkehr, Transport, Lagerung und Logistik´, bei ETS
Premium noch
allgemeiner um die ´Beteiligung an anderen Unternehmen aller Art im In- und
Ausland´. Deutlich konkreter klingt der Geschäftszweck, mit dem die EnBW
ihre Minderheitsbeteiligung bei Easy Toll erklärt. Es sei um ein
Überwachungssystem gegangen, mit dem die Kontrolle radioaktiver Stoffe in
Russland
verbessert werden sollte; in solchen Fragen habe man schließlich Erfahrung. Der
Anstoß sei vom G-8- Gipfel 2002 gekommen, der auch ein entsprechendes
Programm beschloss. Doch die Pläne zerschlugen sich, gegenwärtig wird die Firma
liquidiert. Der Grund laut EnBW: wegen der Wirtschaftskrise wolle die
russische Regierung ´keine Mittel mehr für das Projekt bereitstellen´. Nun
endet es offenbar im Streit ums Geld.




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