Die Rheinpfalz, 16.12.10
> Neustadt: Demonstration am Bierzelttisch
Am Mittwochmorgen verdichten sich die Anzeichen: Der Castor-Transport mit Atommüll fährt
diesmal nicht durch die Südpfalz, sondern über Neustadt - wie seit über einem Jahrzehnt
nicht mehr. Kernkraftgegner verlegen ihre Proteste aus Maximiliansau vor den hiesigen
Bahnhof und gehören zu den mehreren hundert Augenzeugen, als der Zug um 17.32 Uhr
Neustadt passiert.
Von Patrick Seiler Um 17. 20 Uhr hat es Bundespolizei-Sprecher Rudolf Höser nach
unzähligen Anfragen aufgegeben, glaubwürdig zu wirken: "Ich kann nicht bestätigen, dass
der Zug durch Neustadt fährt."
Die Hektik am Hauptbahnhof spricht eine andere Sprache: Hunderte Polizisten verharren seit
Stunden in der Kälte, weitere sind gerade mit Blaulicht dazugestoßen. Hubschrauber
knattern, die Bahnhofshalle ist geräumt, ein Riegel von Einsatzkräften lässt niemanden mehr
auf die drei Bahnsteige vor. "Damit der Castor durchkann", erklärt einer der Polizisten und
verstößt so grinsend gegen die Sprachregelung.
Um 17.12 Uhr ist es über Hochspeyer ins Lambrechter Tal gegangen; der Castor-Zug ist auf
der kurvigen Strecke etwa so schnell unterwegs wie die S-Bahn. "Zu schnell", meint Herbert
Würth vom Aktionsbündnis Castor-Widerstand Neckarwestheim. Er hat mit zwei Dutzend
Mitstreitern auf Gleis 4 des Hauptbahnhofs Station bezogen. "Wegen uns ist eine
Hundertschaft Polizisten hier", sagt er stolz. Morgens in Maximiliansau habe er von den
Ordnungshütern erfahren, dass der Zug diesmal nicht wie erwartet Wörths Stadtteil
passieren werde. Als es in der Nähe von Saarbrücken über die Landesgrenze ging, war
abzusehen, dass an diesem Mittwoch die Route von Kaiserslautern nach Mannheim
betroffen sein könnte. "Und da haben wir uns entschieden, nach Neustadt zu kommen", so
Würth.
"Wir mussten an die Strecke, Öffentlichkeitsarbeit betreiben", sagt er und hebt sein
Transparent etwas höher. "Unsere Forderung ist das sofortige Abschalten aller
Atomkraftwerke." Die Demonstranten kämen aus ganz Südwestdeutschland, sagt Würth.
Matthias Avril neben ihm ist "ganz spontan" aus Rülzheim an Neustadts Bahnhof gefahren,
Hans-Jürgen Becker stellt sich mit "Attac Ludwigshafen" vor. An einem Bierzelttisch vor dem
Bahnhof verteilt Karlheinz Jahraus Informationsmaterial und freut sich, "dass die Leute so
interessiert an den Möglichkeiten für den persönlichen Atomausstieg sind". Ein paar Meter
weiter schwenken die Neustadter Grünen "Atomkraft? Nein danke"-Fahnen.
Zu Polizisten und Demonstranten gesellt sich eine dritte Gruppe, zunehmend frustriert: die
"normalen" Reisenden, die jetzt nicht mehr zu den Zügen vorgelassen werden. "Ich hab" den
ganzen Tag geschafft, meine Geduld ist am Ende. Soll ich nach Speyer laufen?", sagt eine
Frau. Jetzt sind die vielen Beamten mit dem Jackenaufdruck "Kommunikation" gefragt. Um
17.27 Uhr soll eine Lautsprecherdurchsage beruhigen: "Der Bahnhof ist für kurze Zeit
gesperrt." Ein ARD-Kamerateam fängt die Unzufriedenheit fürs Fernsehen ein.
Dann fährt der Zug durch - Personenwaggons und vier Castorbehälter. Ziemlich schnell,
ziemlich unspektaktulär. "Lautstark begleitet", melden die Gegner. "Störungsfrei", so die
Polizei. Der Bahnhof ist wieder frei, die Beamten strömen zu ihren Wagen. "Freu" ich mich
auf die Standheizung", sagt einer.Politik
Von Patrick Seiler
http://www.rheinpfalz.de/cgi-bin/cms2/cms.pl?cmd=showMsg&tpl=rhpMsg_thickbox.html&path=/rhp/lokal/neu&id=7148253
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Heilbronner Stimme, 16.12.10
> Atomtransport rollt weit an der Region vorbei
Von Carsten Friese
Atomtransport rollt weit an der Region vorbei
Symbolische Atommüllfässer mit roten Schleifen: Monika Knoll und Gottfried May-Stürmer
protestieren gegen den Castortransport durch Deutschland.Foto: Friese
Heilbronn - Sie sind bestens vernetzt. Als das Aktionsbündnis Energiewende Heilbronn
gestern am Hauptbahnhof eine Mahnwache gegen den Castortransport abhält, brummt
gegen 13 Uhr das Handy von Bündnis-Mitinitiatorin Monika Knoll (50). Der Zug mit den vier
Castoren voll hochradioaktiver Abfälle ist derzeit im französischen Forbach nahe
Saarbrücken, erfährt sie über einen internen SMS-Dienst von Castorgegnern.
Wahrscheinlich wird die Atomfracht damit nicht wie 2008 durch Stadt und Landkreis
Heilbronn rollen − falls die Route nicht noch irgendwie geändert wird.
Gewappnet
"Wir sind natürlich erleichtert, wenn der Atommüll nicht durch die ganze Stadt gefahren wird",
sagt Monika Knoll. Mit langer Unterhose, Jeans, Stulpen, Fleecepulli, Jacke, Handschuhen,
dickem Schal und roter Weihnachtsmütze hat sie sich gegen die Kälte gewappnet. Auch
BUND-Regionalgeschäftsführer Gottfried May-Stürmer hat die rote Zipfelmütze auf, passend
zum Mahnwachen-Motto "Eine schöne Bescherung". Gelbe Metallfässer mit dem Radioaktiv-Zeichen haben die Mitstreiter vor einem Zelt aufgestellt, zum Teil auf Schlitten und
Leiterwagen drapiert.
Für May-Stürmer ist der Castor-Transport ein Beleg für eine unsinnige Atompolitik. Dass der
Strahlenmüll nun in ein weiteres Zwischenlager bei Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern
gebracht wird, zeige, "dass es keine Lösung gibt".
Rund 250 Mitstreiter stehen im Verteiler des Aktionsbündnisses. Sie würden sofort alarmiert,
falls der Zug durch Heilbronn rollen sollte. Entlang der Bahnstrecken gibt es immer wieder
Atomgegner, die besondere Punkte beobachten oder Aufzüge der Polizei melden. Die
Strecke geheimhalten "geht nicht mehr", ist Knoll überzeugt. Für sie ist es einfach eine
Pflicht, die Bevölkerung zu informieren, wenn ein Zug voller Plutonium durch die Region
fährt. "Unverantwortlich" nennt sie den Transport mit Blick auf Unfall- und Terrorgefahren.
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Ab und zu bleiben Passanten in der Kälte stehen und nehmen Flugblätter mit. "Überhaupt
nicht gut" findet der 17-jährige Berufsschüler Diyar Bekler Atommülltransporte. Als "Quatsch"
bezeichnet eine 37-jährige Sozialpädagogin die Castor-Züge. Selbst Befürworter wollten
nicht an einem Endlager wohnen, ist sie überzeugt.
500 Flugblätter sind gegen 16 Uhr verteilt, weitere 500 werden nachgedruckt. Ein kleiner
Kugelgrill mit Briketts wärmt die bis zu 15 Protestler ein bisschen. Dass der Castortransport
nach Polizeiangaben nicht durch Baden-Württemberg fahren wird, wissen sie jetzt. Dennoch
wollen sie noch ein paar Stunden ausharren. Auch aus Solidarität mit anderen Aktiven
entlang der Strecke.
http://www.stimme.de/heilbronn/nachrichten/region/sonstige;art16305,2012842
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Aktionsbuendnis CASTOR-Widerstand Neckarwestheim
Info-tel 07141 / 903363
http://neckarwestheim.antiatom.net