VGH Mannheim stellt Rechtswidrigkeit des Versammlungsverbots der Stadt Karlsruhe beim Transport von hochradioaktivem Atommüll im Februar 2011 fest
(Presse-Info 20.11.13, AKI Karlsruhe) In der Nacht vom 15. auf 16. Februar 2011 wurde ein Castor-Transport von hochradioaktivem Atommüll, darunter 16 Kilogramm Plutonium und über 500 Kilogramm Uran, aus der ehemaligen Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) über das S-Bahn-Netz der Linien S1 und S11 quer durch Karlsruher Wohngebiete und den Hauptbahnhof ins Zwischenlager nach Lubmin (Greifswald) durchgeführt.
Anlässlich des Atommülltransports hatte die Stadt Karlsruhe eine sehr weitgehende Allgemeinverfügung erlassen, nach der die Versammlungsfreiheit für einen Zeitraum von 48 Stunden, in einem großen Gebiet quer durch das Karlsruher Stadtgebiet, darunter u. a. der Bahnhofsplatz, für Versammlungen aller Art, unabhängig vom Thema, außer Kraft gesetzt wurde. Aufgrund der Allgemeinverfügung bestand für wesentliche Adern des Öffentlichen Nahverkehrs und Fernverkehrs in der Großstadt Karlsruhe ein Versammlungsverbot für 48 Stunden. Auch alle anderen Versammlungen in Karlsruhe außerhalb des in der Allgemeinverfügung beschriebenen Gebiets waren somit vom Versammlungsverbot betroffen, da eine Teilnahme mit Öffentlichen Verkehrsmitteln in einer Vielzahl von Fällen nicht ohne einen Verstoß gegen das mit der Allgemeinverfügung ausgesprochen Versammlungsverbot möglich war.
Zu diesem Zeitpunkt fand gerade die gesellschaftliche Auseinandersetzung um Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken und die damit verbundene Zunahme von Atommülltransporten und auch die illegale Einlagerung von mittelaktivem radioaktivem Müll im vom Wassereinbruch bedrohten Salzbergwerk in Asse, der aus dem ehemaligen Kernforschungszentrum in Karlsruhe stammen soll, sowie Korruptionsvorwürfe gegen Mitarbeiter des Zentrums in Zusammenhang mit Atommülleinlagerung statt. (Der Strafprozess wegen der Korruptionsvorwürfe findet zur Zeit vor dem LG Karlsruhe statt). Darüber hinaus existiert weltweit noch kein sicheres Endlager und gerade der hochradioaktive Müll ist im dazu nicht geeigneten Zwischenlager in Lubmin noch wesentlich unsicherer untergebracht, als in der ehemaligen WAK Karlsruhe.
Aufgrund der Allgemeinverfügung war es nicht möglich, mit Versammlungen entlang der Strecke die betroffenen BürgerInnen zu informieren, noch eine Versammlung zur Durchführung einer öffentlichen Messung der Radioaktiven Belastung während der Durchfahrt des Castors durchzuführen. Bei früheren Transporten wurde von Umweltorganisation bereits erhöhte Radioaktivität an den Castor-Behältern gemessen, die nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die begleitenden Polizeieinsatzkräfte gefährden.
Gegen den Transport hatte ein breites gesellschaftliches Bündnis aus Bürgerinitiativen gegen Atomanlagen, große Umweltverbände, wie der BUND Baden-Württemberg, die Greenpeace Gruppe Karlsruhe, verschiedene Kreisverbände von Bündnis 90/Die Grünen und der Partei die Linke u. A.mit einer „Nachttanzblockade“ protestiert und zu Aktionen des zivilen Ungehorsams aufgerufen.
Ein vom Versammlungsverbot betroffener Karlsruher Atomkraftgegner erhob Widerspruch gegen das Versammlungsverbot und beantragte beim Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG) erfolglos vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz. Das VG Karlsruhe wies die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Versammlungsverbots ab. Die dagegen eingelegte Berufung hatte Erfolg.
Der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) gab in seinem Urteil vom 6.11.2013 - Az.: 1 S 1640/12 - der Klage statt und stellte fest, dass das von der Stadt Karlsruhe verfügte allgemeine Verbot von Versammlungen entlang der Strecke für einen Castortransport rechtswidrig war.
Der Kläger habe auch nach Ablauf des Versammlungsverbots ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit. Denn er habe dargelegt, auch bei künftigen Atommülltransporten durch Karlsruhe Versammlungen an der Transportstrecke veranstalten zu wollen, und es sei zu erwarten, dass die Beklagte zur Sicherung solcher Transporte vergleichbare Versammlungsverbote erlasse. Da das Verbot auch für friedliche Versammlungen galt, hätte es nur bei einem polizeilichen Notstand erlassen werden dürfen. Ein solcher Notstand sei jedoch - auch im Nachhinein - nicht feststellbar gewesen. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung zur Bedeutung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit als kollektive Meinungsfreiheit festgestellt, dass diese zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens zählt. Dem stände nicht entgegen, dass speziell bei Demonstrationen das argumentative Moment zurücktritt, welches die Ausübung der Meinungsfreiheit in der Regel kennzeichnet. (BVerfGE 69, 315 – v. 14. Mai 1985-Brokdorf). Der Schutz sei nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasse vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden. (BVerfGE v. 7. 3. 2011 zu Sitzblockaden (1 BvR 388/05)
Eingriffe in die Versammlungsfreiheit als kollektive Meinungsfreiheit sind uns nicht nur aus Deutschland, sondern aus vielen Ländern bekannt. Die Verteidigung der Versammlungsfreiheit und die entschiedene Zurückweisung aller Einschränkungen werden uns insofern auch zukünftig immer beschäftigen. Rechtsfragen und insbesondere das Recht auf Versammlungsfreiheit sind somit auch immer Machtfragen. Alle elementaren Menschenrechte wurden uns nicht geschenkt, sondern wurden hart für uns erkämpft. An uns ist es, sie täglich zu verteidigen und weiter auszubauen. Versammlungsfreiheit lässt sich vielleicht einschränken, aber letztlich niemals verbieten – nirgendwo auf der Welt.
Versammlungen für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen weltweit werden auch zukünftig stattfinden müssen.
Trotz Fukushima werden weiter Atomkraftwerke geplant und gebaut. In Indien und Brasilien sollen neue AKWs sogar mit Deutschen Hermes-(Exportausfall)-Bürgschaften gegen den Widerstand der Bevölkerung gebaut werden.
Weder in der Bundesrepublik noch weltweit gibt es eine Lösung, was mit dem hochradioaktiven Atommüll geschehen soll. Weltweit gibt es noch kein einziges sicheres Endlager für hochradioaktiven Müll. Trotzdem wurde die gefährliche Fracht völlig überflüssiger Weise von einem Zwischenlager ins nächste verbracht – quer durch Deutschland und mitten durch Wohngebiete, mit all den damit verbundenen Risiken und Gefahren für die Bevölkerung.
Im Sommer 2011 waren 2 Atomkraftwerke in der USA von Überflutung bedroht und die Atomforschungsanlage Los Alamos, in der große Mengen Plutonium gelagert sind, von Feuer umgeben, so dass schon mehr als 10000 Menschen evakuiert werden mussten.
Im April 2013 kam es beim Brand eines mit Atommüll beladenen Frachters im Hamburger Hafen beinahe zu einer nuklearen Katastrophe, zu einem Zeitpunkt wo in der Nähe des Brandes fast 100000 Menschen beim Kirchentag versammelt waren.
Im Rahmen der „Mediation“ für die Erweiterung des Instituts für Transurane (ITU) auf dem Gelände des KIT Nord der Karlsruher Universität wurde bekannt, dass dort an der 4. Generation von Atomkraftwerken geforscht wird, und regelmäßig, dort produzierte kleine Plutoniumhaltige Brennstäbe, durch Karlsruher Wohngebiete in die militärische Wiederaufarbeitungsanlage nach Marcoule gebracht werden und wieder zurück. Das ITU hat eine Genehmigung für die Verarbeitung von 80 kg reinem waffenfähigen Plutonium. Nach dieser Genehmigung können somit jährlich sogar wesentliche höhere Mengen an Plutonium im ITU verarbeitet werden.
Der Atomunfall in Fukushima mit seinen dramatischen Auswirkungen für die Menschen in der gesamten Region hat leider unsere Befürchtungen über die Auswirkungen eines nuklearen Unfalls - 25 Jahre nach Tschernobyl - mehr als bestätigt. Die Menschen in der Region Fukushima und Tschernobyl wären heute froh, wenn sich mehr Menschen gegen diese Atomanlagen zur Wehr gesetzt hätten!
Keine Einschränkung der Versammlungsfreiheit!
Kein Atommülltourismus - Sofortige Stilllegung aller Atomanlagen weltweit!
- Erfolgreicher Protest: Nachtanzblockade in Karlsruhe (Rückblick, Februar 2011)