Hintergrund-Info zum aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12.11.20 zum Thema Schadensersatz für die Energiekonzerne wegen dem Atomausstieg
Atomausstieg 2002 - Atomausstieg 2011
AKW- Laufzeitverlängerungen & Entschädigungen
Nach 1986 in Tschernobyl kam es am 11. März 2011 in Fukushima in drei Atomkraftwerken zur erneuten Kernschmelze, zum atomaren Super-GAU. Mit der bis heute andauernden radioaktiven Verstrahlung von Menschen, Umwelt und Meer. Die gesundheitlichen Auswirkungen wie Leukämie- und Krebserkrankungen werden bis heute offiziell verharmlost und geleugnet.
Atomausstieg und Energiewende:
statt Atomausstieg sofort wurden in Deutschland im März 2011 von 17 Atomkraftwerken nur 8 abgeschaltet. Alle anderen 9 Atomkraftwerke erhielten trotz Fukushima und des ungeklärten Problems "Atommüll wohin?" eine jahrzehntelange weitere Betriebsgarantie. Immer noch sollen 6 AKWs bis Ende 2021 und Ende 2022 weiter laufen.
Seit 2011, also innerhalb von inzwischen fast 10 Jahren(!), sind mit diesem „Atomausstieg“ nur 3 der 9 AKWs abgeschaltet worden. Die sechs größten und somit auch gefährlichsten AKWs laufen weiter und behindern die Energiewende. Und bevor diese AKWs endlich vom Netz gehen, ist im September 2021 noch die nächste Bundestagswahl. Ein wirklich genialer Atomausstiegs-Plan mit langen Laufzeiten für die AKW-Betreiber!
Atom- , Kohleausstieg und Energiewende: es ist noch lange nicht vorbei!
Für viele scheint der Atomausstieg beschlossene Sache zu sein. Ausstiegskonzepte beinhalten immer die Möglichkeit eines Ausstiegs aus dem Ausstieg. Die Anti-Atom-Bewegung fordert schon immer die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen weltweit. Doch sechs Atomreaktoren laufen in der BRD trotz Atomausstieg noch weiter. Im Windschatten der Klimakatastrophe versuchen die Befürworter*innen der Atomenergie in die Offensive zu kommen. Dabei stellen Laufzeitverlängerungen eine der Optionen dar. Und statt rascher weiterer Energiewende sollen neue Gaskraftwerke als „Brückentechnologie“ noch jahrzehntelange neue Betriebsgenehmigungen erhalten. Wurden statt Kohleausstieg sofort zu beginnen, für die größten und umweltschädlichsten Kohlekraftwerke Betriebsgarantien bis 2035 und 2038 gegeben! Und dafür sollen die Kohlekonzerne noch bis zu 5 Milliarden Euro an Entschädigung erhalten. Von Klimaschutz und Energiewende wohlwollend reden, jedoch praktisch alles tun um sie auszubremsen, dies bestimmt das politische Handeln!
Überblick und Chronologie zum Thema „Atomausstieg“
Was wurde 2002 im „Atomausstieg Nr. 1“ geregelt und warum gab es überhaupt diesen Bundestagsbeschluss?
Massive Proteste gegen CASTOR-Transporte und den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke mit Widerstandsaktionen und Demonstrationen von zehntausenden von Menschen über viele Jahre haben ihn außerparlamentarisch erzwungen. Nur deshalb gab es den rot/grünen Koalitions-Beschluss mit dem Atomausstieg Nr. 1.
Der erste Kernpunkt bei diesem Atomausstieg 2002 war eine weitere Betriebsgarantie, die jeweils über „Reststrommengen“ festgelegt wurde. Damit haben die Konzerne Klagemöglichkeiten erhalten. Als Basis für den „Atomausstieg“ gab es 38 Betriebsjahre für jedes AKW. Darüber hinaus noch Sonderregelungen an weiteren sog. Reststrommengen, selbst für AKWs die nie im Betrieb waren. Erst dann sollte abgeschaltet werden.
Der zweite Kernpunkt waren die neuen Standort-Zwischenlager für den hochradioaktiven Atommüll. Ab 2005 wurden die Standort-Zwischenlager an den AKWs für den hochradioaktiven Müll in den CASTOREN als neuer „Entsorgungspfad“ nach dem Atomgesetz beschlossen. Dies um weitere Proteste gegen unsinnige Atommüll-Verschiebungen durch CASTOR-Transporte zu verhindern. Das politische Ziel der „Befriedung “ der bundesweiten Proteste wurde trotz AKW-Weiterbetrieb mit diesem „Pseudo-Atomausstieg“ erreicht.
AKW-Laufzeitverlängerung im Oktober 2010
Statt Atomausstieg erfolgte im Jahr 2010 die Kehrtwende hin zu den AKW-Laufzeitverlängerungen. Vorausgegangen war eine politisch gesteuerte Kritik an der Energiewende. U.a. nicht rasch genug umsetzbar, Atomkraft ist CO² freundlich usw. Der Anti-AKW-Widerstand befand sich auf Minimalniveau. Und die damalige CDU / FDP-Koalition beschloss Laufzeitverlängerung für alle AKWs von mindestens 12 Jahren. Also zuerst AKW-Betrieb mit Reststrommengen für mindestens 38 Jahre aus dem Atomausstieg Nr. 1, plus 12 weitere Jahre AKW-Betrieb als Laufzeitverlängerung und Betriebsgarantie!
Super-GAU in Fukushima im März 2011 und Ausstiegsverhandlungen
Gegen die Laufzeitverlängerungen entwickelte sich ein neuer Anti-AKW-Widerstand. Nach Fukushima gab es jedoch statt Atomausstieg sofort, ein dreimonatiges Moratorium um Zeit zu gewinnen.
Die Politik versprach einen neuen Atomausstieg und verhandelte mit den Energiekonzernen und deren Lobbyisten hinter den Kulissen den „Atomausstieg Nr. 2“. Wie lief das ab? Die Energiekonzerne waren und sind bis heute schon immer bestens mit der Politik auf Bundes- und Landesebene verflochten. Extra Gremien mit Beraterverträgen, Reisen auf Firmenkosten, Postenwechsel von der Politik in die Konzerne usw. gehörten zum Alltag.
Als Beispiel bei den „Ausstiegsverhandlungen“ der federführende Atom-Lobbyist Gerd Hennenhöfer:
- Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit 1994 bis 1998
von 1994 bis 1998 unter Umweltministerin Angela Merkel Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium. Dort unter anderem für Fragen der Endlagerung (Gorleben, Ahaus, Schacht Konrad, Asse) und die Durchsetzung sicherheitstechnischer Standards des Bundes bei den deutschen Atomkraftwerken zuständig.
- Anstellung bei VIAG/EON 1998 bis 2003
von 1998 bis 2003 war er Generalbevollmächtigter für Wirtschaftspolitik des Energiekonzerns VIAG, der im Jahr 2000 mit dem VEBA-Konzern zur EON fusionierte. Für VIAG führte Hennenhöfer die Verhandlungen mit der rot-grünen Bundesregierung zum Atomausstieg und unterzeichnete die Verträge zum Atomkonsens. - Tätigkeit als Jurist für Redeker Sellner Dahs 2004 bis 2009
dort beriet er unter anderem das Helmholtz Zentrum München, den damaligen Betreiber des Endlagers Asse II. Das Honorar hierfür betrug knapp 500.000 Euro. Weiterhin fertigte er bezüglich der Frage der Reststrommengen-Übertragung von neueren auf ältere Atomkraftwerke ein Rechtsgutachten an. - Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit von 2009 bis 2014
Im Dezember 2009 wurde Hennenhöfer erneut Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Umweltministerium, diesmal unter Umweltminister Norbert Röttgen. Er war an den Gesprächen um AKW-Laufzeitverlängerungen beteiligt, als die Laufzeiten für eine Gesetzesumsetzung in Strommengen umgerechnet werden mussten. Er war federführend am Atomausstieg Nr. 1 und Atomausstieg Nr. 2 beteiligt. - war auch jahrelang Gruppen-Vorsitzender der Leiter europäischer Atomaufsichtsbehörden
Atomausstieg Nr. 2 nach Fukushima und Regelungen dazu
Was war das Ergebnis der Verhandlungen zu diesem „Atomausstieg“?
Nach Fukushima gab es statt Atomausstieg sofort und dem Abschalten aller 17 AKWs nur einen Pseudo-Ausstieg mit dem Abschalten von 8 Atomkraftwerken. Alle anderen 9 AKWs erhielten lange Laufzeiten, auch über die ursprünglichen Reststrommengen hinaus. Deshalb laufen 10 Jahre nach diesem „Atomausstieg“ immer noch 6 Atomkraftwerke.
Sie sollen erst im Dezember 2021 und Dezember 2022 abgeschaltet werden. Dieser Atomausstieg hat insgesamt 3 Bundestagswahlen und einen Sachzwang eingebaut. Bevor die 6 größten von 9 AKWs endlich innerhalb von einem Jahr vom Netz gehen sollen, findet im Herbst 2021 noch die nächste Bundestagswahl statt.
Von der Politik wurde dieser Atomausstieg zu Gunsten der Energiekonzerne „ausgeklüngelt“ und handwerklich in rechtlich schlechter Form realisiert. Der gesundheitliche Schutz der Bevölkerung wurde und wird hinter die Gewinn-Interessen der Energiekonzerne gestellt. Da der rechtliche Rahmen beim Atomausstieg Nr. 2 pro Energiekonzerne unter Mitwirkung der Lobbyisten abgefasst wurde, hatten die AKW-Betreiber Vattenfall, EON, RWE und EnBW überhaupt die Chance und Möglichkeit dagegen zu Klagen. Und konnten deshalb 2016 vor den Gerichten einen Anspruch auf Schadenersatz in Milliardenhöhe durchzusetzen. Der hilflose Versuch 2018 mit einer weiteren gesetzlichen Regelung zum „Atomausstieg“ ist jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht erneut gescheitert – Schadenersatz muss in Millionenhöhe bezahlt werden. Und Vattenfall klagt zudem vor dem Internationalen Gerichtshof in den USA noch auf 5 Milliarden Euro Schadenersatz!
Die Bundesregierung hat mit den Grünen und der FDP eine Regelung mit den Energiekonzernen zum gesundheitlich unlösbaren Problem Langzeitlagerung von Atommüll getroffen. Diese konnten sich für nur 23 Milliarden Euro von allen zukünftigen Kosten der Langzeitlagerung freikaufen. Dabei hatten die Konzerne insgesamt 35 Milliarden Euro an steuerfreien Rücklagen dazu bilden können. Nur noch mit Steuergeldern wird diese Jahrtausend-Aufgabe zukünftig finanziert werden. Es wäre ein leichtes gewesen, diese Regelung mit den Energiekonzernen nur zu treffen, wenn sie auf sämtliche Klagemöglichkeiten verzichtet hätten!
Wir fordern:
- Atomausstieg sofort!
- Kohleausstieg bis spätestens 2030!
- rasche weitere Energiewende jetzt!