Berliner Zeitung, 01.08.07
> Falsche Dübel
Vor einem Monat brannte im AKW Krümmel ein Transformator. Nicht das
einzige Problem, wie Monteure wissen. Die Sicherheitskultur ist gefährdet
Frank Nordhausen
GEESTHACHT/BIBLIS. Als vor gut einem Monat im Atomkraftwerk Krümmel der
Transformator brannte, musste Hans Brenner sofort an jene Zeit denken,
als er dort gearbeitet hat. Die Betreibergesellschaft Vattenfall
verstrickte sich in Widersprüche, und plötzlich war noch von ganz anderen
Problemen als dem Feuer die Rede. Vierzehn Dübel in einem Gebäude mit
Notstromgeneratoren seien falsch montiert worden, hieß es. "Ich weiß,
dass sie damals Dübel nicht richtig gesetzt haben, denn ich war dabei",
sagt Brenner. "Aber es gab dort noch viel mehr Pfusch."
Inzwischen wurden in Krümmel so viele vorschriftswidrige Dübel entdeckt,
dass der Vorfall in die Kategorie "eilt" eingestuft werden musste. Von
bis zu 630 falschen Dübeln ist jetzt die Rede. Nun mag man einwenden, ein
paar falsch verbaute Dübel seien keine große Sache. Doch handelt es sich
nicht um x-beliebige Dübel aus dem Baumarkt, sondern um spezielle
Stahldübel im Reaktorgebäude - also im atomaren Bereich der
Kraftwerksanlage. Sie müssen Montagebühnen für Wartungsarbeiten halten.
Und Rohre des Reaktorkühlsystems.
Sollten diese Dübel die Rohre nicht mehr sichern, könnten sie brechen.
Kaum etwas aber wird von Atomingenieuren so gefürchtet wie ein Leck im
Kühlsystem. Falls dann weitere Sicherungen versagen, ist der Reaktor
gefährdet.
Auch wegen dieser Baumängel ist das AKW Krümmel abgeschaltet, nicht nur
wegen des abgebrannten Transformators. "Man müsste dringend alle Dübel
der Rohrhalterungen in Krümmel überprüfen", sagt Brenner.
Für Rohre in Atomanlagen ist er Fachmann, damit hat er sich dreißig Jahre
lang befasst. Brenner weiß von Nachlässigkeiten zu berichten -
ausgerechnet in der riskantesten Technik, die existiert. "Es gibt viele
gute Leute in den Anlagen und den Montagefirmen", sagt der 62-Jährige,
"aber leider auch viele, die es nicht so genau nehmen. Zum Beispiel den
Zinker."
Zinker, so nannten sie damals in Krümmel einen Vorarbeiter, der sich
immer wieder über die Vorschriften hinwegsetzte. "Wenn Rohre oder
Halterungen nicht passten, hat der Zinker sie passend gemacht. Waren sie
nicht aus dem vorgeschriebenen Werkstoff, hat er die Werkstoffmarken
umgestempelt, also gefälscht." Das war 1998, als Brenner in Krümmel
arbeitete. Das Rohrleitungssystem sollte damals teilweise erneuert
werden. Viele ausgewechselte Röhrenhalter seien aber nicht die eigentlich
vorgesehenen und richtigen gewesen, sagt Brenner, "und das ist ein
rechtswidriger und gefährlicher Zustand".
Weshalb ein Vorarbeiter ausgerechnet im Atomkraftwerk Marken umstempelt
oder falsche Dübel einbauen lässt, das kann Brenner leicht erklären: "Der
Zinker zum Beispiel war ein Befehlsempfänger. Dem hat man gesagt, wir
brauchen dieses und jenes Teil, sieh zu, dass du es besorgst. Der stand
unter Termindruck." Und das Ergebnis? "Wenn bei einem Störfall der
Wasserdruck steigt und dann die Dübel versagen, könnten die Leitungen
bersten." Brenner hat versucht, seine Vorgesetzten über den "Zinker" zu
informieren. "Da hieß es aber, mischen Sie sich nicht ein!"
Vor wenigen Tagen hat der Vattenfall-Chef Lars Göran Josefsson behauptet,
die alten Atomkraftwerke seien heute sicherer als vor dreißig Jahren,
weil sie oft nachgerüstet wurden. Hans Brenner ist da anderer Meinung. Er
heißt nicht wirklich Brenner, aber er ist einer der wenigen, die immerhin
anonym über Missstände in der Atomindustrie reden. "Ich habe das Gefühl,
ich muss das tun", sagt er. "Es geht ja hier nicht um eine
Würstchenbude."
Was Brenner sagt, passt aber zu der Kritik von Eberhard Grauf, dem
ehemaligen Leiter des Atomkraftwerks Neckarwestheim II, der 2004
erklärte, es gebe bei der Sicherheit der Atomanlagen "immer größere
Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit". Einsparungen und höhere
Anforderungen hätten zu "inakzeptablen Arbeitsbedingungen" geführt.
Grundlegende Aspekte der Sicherheitskultur würden zunehmend ignoriert.
Grauf wurde daraufhin entlassen.
Hans Brenner arbeitet aus eigenem Willen nicht mehr für die
Atomindustrie. Vor einem Jahr hat er in der Berliner Zeitung alarmierende
Zustände im südhessischen AKW Biblis B geschildert, das etwas älter als
Krümmel ist und ebenfalls als Pannenmeiler gilt. Rohrkanäle seien dort
überflutet, Wasserrohre chaotisch verlegt, das Notkühlsystem falsch
berechnet worden. "Wenn etwas passiert, gehen die Ingenieure von falschen
Plänen aus. Das ist gefährlich, weil sie dann auch falsche Schlüsse
ziehen können."
Der Essener Energiekonzern RWE, Betreiber von Biblis, hatte die Vorwürfe
des Ingenieurs seinerzeit dementiert. Inzwischen musste RWE einräumen,
dass sich tatsächlich Wasser in den Kellerräumen von Biblis B befand und
mehrere hundert so genannte Stempelfelder, Etiketten des Notkühlsystems,
nicht auffindbar waren. Genau so, wie es Brenner berichtet hatte. Eine
Klage gegen ihn, wie zunächst angekündigt, hat man nicht angestrengt.
Zwar sind laut RWE seit 1999 etwa eine Milliarde Euro in die Sicherheit
der beiden Biblis-Blöcke investiert worden - für den Konzern ein
Argument, dass sie länger laufen können als im Atomkonsens vorgesehen.
"Jede Nachrüstung ist gut", sagt Brenner, "aber das Grundproblem bleibt.
Falsch etikettierte Rohre werden in der Chemieindustrie sofort
ausgetauscht. Warum nicht auch in der Atomindustrie? Wenn nur ein
Promille von ihnen versagt, kann das höchst gefährlich sein."
Auch ohne Rohrerneuerung stehen die beiden Altmeiler am Rhein seit zehn
Monaten still. Der Grund sind wie in Krümmel falsche Dübel. Vor sechs
Jahren wurden bei Überholarbeiten in Biblis rund 15 000 unzureichende
Schwerlastdübel angebracht. Solange sie nicht alle ersetzt worden sind,
dürfen die Anlagen nicht wieder anlaufen.
Chaotische Arbeitsbedingungen, schlecht qualifiziertes Personal,
unkorrekte Pläne - was Brenner über die Arbeit am Kühlsystem in Biblis B
sagt, wird jetzt durch Aussagen des Monteurs Uwe Schulz gestützt, der
ganz ähnlich die Lage an den Elektrosystemen im Schwesterwerk Biblis A
beschreibt. "Die technischen Unterlagen haben in keiner Weise mit dem
übereingestimmt, was wir in der Anlage vorfanden", sagt Schulz. "Es war
nicht möglich, auch nur einen Stell- oder Regelantrieb, eine Klappe oder
einen Schieber in Betrieb zu nehmen, ohne dass mich Planungs- oder
Montagefehler erheblich behindert hätten."
Schulz und Brenner kennen sich nicht, sie haben sich nie getroffen. "Das
macht ihre Berichte nur glaubwürdiger", sagt Henrik Paulitz von der
Organisation "Ärzte gegen den Atomkrieg". "Es ist Unfug, von zunehmender
Sicherheit der alternden Meiler zu reden."
Der Elektromonteur Uwe Schulz, der seinen richtigen Namen ebenfalls nicht
nennen will, ist seit 2002 krankgeschrieben und klagte gegen die Firma
Siemens, seinen damaligen Arbeitgeber, um Schadenersatz. "Biblis war die
Hölle", sagt er, und meint damit, die Arbeit habe ihn so belastet, dass
er im November 2001 im Kraftwerk zusammenbrach. "Damit wurde ich zum
Sicherheitsrisiko, wurde aber trotzdem weiter beschäftigt", sagt Schulz.
Das Verfahren hat er letztinstanzlich vor dem Bundesarbeitsgericht
verloren. Deshalb will man bei Siemens keine Einzelheiten kommentieren.
"Die Sache hat sich erledigt", sagt ein Konzernsprecher. Das sieht der
Atomkritiker Paulitz anders. "Der Prozess drehte sich um die Vorlage
eines ärztlichen Attestes. Die sicherheitstechnischen Aspekte waren nicht
das eigentliche Thema. Was Herr Schulz vorbringt, muss man durchaus ernst
nehmen."
Schulz war in den Jahren 2001 und 2002 in Biblis A eingesetzt. Damals
hatte Siemens von RWE den Auftrag erhalten, dort eine Notsteuerstelle
aufzubauen, um das Kraftwerk bei einer Zerstörung der Hauptwarte noch
abschalten zu können. Was er dabei erlebte, hat Schulz in seinem Prozess
öffentlich gemacht. Der Elektromonteur hatte schon zwanzig Jahre in
Atomkraftwerken gearbeitet, als er 2001 nach Biblis kam. Dort herrschte
Hektik, da auch eine Revision anstand, eine Generalkontrolle.
Die alten Meiler sind abgeschrieben, bringen den Betreibern etwa eine
Million Euro Gewinn pro Tag und sollen daher möglichst selten
stillstehen. Also hat man die regulären Revisionen von etwa 30
Arbeitstagen auf rund die Hälfte verkürzt. "Das bedeutet, dass die
Revisionsarbeiter unter einem ungeheuren Druck stehen, denn jeder Tag
kostet Geld", sagt Schulz. "Es war Chaos und Stress hoch drei." Ständig
seien Fehler bei Montagearbeiten passiert, zum Beispiel Kurzschlüsse beim
Löten, wobei Kabelverbindungen beschädigt wurden. "Wir haben diese
Stellen dann notdürftig wiederhergestellt, aber die Aufsichtsbehörde
nicht informiert. Wenn wir den TÜV informiert hätten, hätten ganze
Baugruppenträger ausgetauscht werden müssen."
Schulz wollte es trotzdem richtig machen, er verausgabte sich bis zur
völligen Erschöpfung. Als er einen Vorgesetzten auf die falschen Pläne
hinwies, habe der nur geantwortet, dass "die da oben mit ihrer
schlampigen Planerei irgendwann auf die Schnauze fallen" würden. Genau
dieser Vorgesetzte jedoch habe sich selbst nicht besser verhalten.
Es ging um acht Lüftungsklappen, die bei einem Störfall so dicht
schließen müssen, dass keine Radioaktivität aus dem Reaktorgebäude nach
außen dringen kann. Schulz stellte fest, dass ein Schutzmechanismus die
Klappen blockierte. Als er dies dem Vorgesetzten meldete, habe dieser ihm
befohlen, den Schutz einfach abzuschalten. Daraufhin sagte Schulz, das
sei eine äußerst unverantwortliche Entscheidung. Man dürfe niemals in
einem Atomkraftwerk Schutzmechanismen unwirksam machen.
Tatsächlich musste der Betreiber RWE am 5. Juni 2002 offiziell ein
"Vorkommnis" melden: den Ausfall einer dieser Lüftungsklappen. RWE lässt
heute erklären, dass man das Problem sofort behoben habe. Schulz
befürchtet aber weitere, noch unentdeckte Fehler.
"Damals war ich vollkommen fertig", sagt Uwe Schulz. Im Herbst 2001
erlitt er einen Nervenzusammenbruch und musste Psychopharmaka einnehmen;
ein halbes Jahr später brach er völlig zusammen. Dem Gericht erklärte er,
dass er vermutlich nicht der Einzige mit psychischen Problemen in der
Atomwirtschaft sei: "Wer weiß, wie viele nervlich angeschlagene
Mitarbeiter an sicherheitsrelevanten Systemen in Kernkraftwerken
arbeiten."
Berliner Zeitung, 01.08.2007
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