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09.05.2008 18:02 Uhr
Skandal um Schrott-Beton
Die Beton-Mischer

Ein Bauskandal? Oder die Rache der Konkurrenz? Eine Stuttgarter Firma
steht im Verdacht, bei einem Kernkraftwerk und anderen Großprojekten
gepfuscht zu haben.
Von Uwe Ritzer

Schrott-Beton im atomaren Zwischenlager des Kernkraftwerks Neckarwestheim
- es droht ein Skandal.
Foto: ddp


Ruhig sitzt Stefan Biechle (Name geändert) da, ein kräftiges Mannsbild,
das festes Zupacken gewohnt ist. So einer versteht es nicht, wenn
Probleme auftauchen und nicht sofort angegangen werden.

"Ich habe das alles dem Staatsanwalt schon letzten Sommer erklärt", sagt
Biechle und deutet auf das Papier, das vor ihm auf dem Tisch liegt und
seine Unterschrift trägt.

Auf mehreren Seiten und sehr präzise schildert er, dass bei seinem
früheren Arbeitgeber, einem mittelständischen Unternehmen aus dem
Großraum Stuttgart, Schrottbeton produziert und dieser fälschlicherweise
als normgerecht in Umlauf gebracht worden sei.

Hochwertiger Zement mit billigen Zuschlagstoffen

Er berichtet in einer Eidesstattlichen Versicherung, wie unsichtbare
Hände via Internet an ihm als zuständigem Mischmeister vorbei die
Mischanlagen ferngesteuert hätten. Er erzählt, wie die Firmenzentrale die
Möglichkeit genutzt habe, die von ihm bestellte "Betonmischung zu
verändern, ohne dass der Mischmeister vor Ort den minderwertigen Beton
verhindern kann".

Eine gewisse Menge hochwertiger Zement sei dabei "durch billige und
minderwertige Zuschlagstoffe ersetzt" worden. "Fassungslos musste ich
zuschauen, wie ohne mein Zutun minderwertiger Beton für viele
Großbaustellen rund um Stuttgart produziert wurde", erklärt Biechle.

Er führt etliche Beispiele an, darunter das Neue Messegelände, die
imposanten Museen von Mercedes-Benz und Porsche, die Stadthalle Esslingen
sowie das atomare Zwischenlager des Kernkraftwerks Neckarwestheim. Auch
andere ehemalige Mitarbeiter berichten, das Unternehmen habe teilweise
minderwertigen Beton geliefert. Und nun wundert sich Biechle, warum trotz
seiner detaillierten Angaben gegenüber der Staatsanwaltschaft vor acht
Monaten "seitdem nicht viel passiert ist".

Im August 2007 erhielt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft erste Hinweise
über den möglichen Betrug. Die Behörde leitete Ermittlungen gegen
Biechles Ex-Arbeitgeber ein, einen 40-jährigen Stuttgarter Unternehmer
(Name der Redaktion bekannt). Im November durchsuchten
Staatsanwaltschaft, Polizei und Steuerfahnder dessen Wohnung und Büros.

Betroffene Bauherren wurden nicht informiert

"Es ist im Einzelnen noch genau zu ermitteln, ob dieser Verdacht
hinreichend sicher nachgewiesen werden kann", erklärt die Sprecherin der
Staatsanwaltschaft. Auf die Frage, ob man Vorkehrungen getroffen habe,
damit etwaige Manipulationen nicht fortgesetzt werden könnten, winkt sie
ab. Prävention sei nicht Sache der Staatsanwaltschaft, sondern anderer
Behörden.

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Auch Bauherren und Behörden, die vom möglichen Betrug betroffen sein
könnten, hat die Staatsanwaltschaft nicht informiert. So erfuhr das für
die Reaktorsicherheit zuständige Umweltministerium in Stuttgart erst
Mitte dieser Woche durch eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung davon,
dass auch in Neckarwestheim zum Teil minderwertiger Beton eingebaut
worden sein könnte.

Die Firma hat 2004 für den Bau des unterirdischen Zwischenlagers für
abgebrannte Kernbrennstäbe insgesamt etwa 35 000 Kubikmeter Beton
geliefert.

Nun ist man im Umweltministerium irritiert, dass von der
Staatsanwaltschaft über Monate hinweg nicht der kleinste Wink kam.
Schließlich ist ein Atomkraftwerk eine besonders sensible Anlage in
puncto Sicherheit. Das Ministerium untersuchte am Donnerstag mit
Bausachverständigen die Anlage zwischen Stuttgart und Heilbronn.

Sie teilte danach mit, man gehe "nach derzeitiger Faktenlage davon aus,
dass beim Zwischenlager kein minderwertiger Beton verbaut wurde". An dem
Bauwerk seien "keine Auffälligkeiten erkennbar".

Raffinierte Manipulatoren?

Doch Beton ist geduldig. Experten sagen, wenn tatsächlich schlechte
Rezepturen verwendet worden seien, könne man dies nur schwer erkennen. Um
die Folgen zu sehen, müsste man lange warten. Minderwertiger Beton halte
bestenfalls halb so lange wie normgerechter Beton, der erst nach etwa 50
Jahren bröselt. Beide würden zwar eine ähnliche Druckfestigkeit
aufweisen, aber die Billigversion sei bei weitem nicht so frostsicher.

Waren also in Stuttgart besonders raffinierte Manipulatoren am Werk?
Kündigt sich ein womöglich beispielloser Bauskandal an? Oder ist der
beschuldigte Unternehmer das arme Opfer missliebiger Konkurrenten, für
die sein rasanter Aufstieg allmählich bedrohlich wird?

Ein Firmensprecher verweist darauf, dass es sich "um ein
alteingesessenes, mittelständisches Familienunternehmen handelt, das
gerade durch die Qualität des Betons zu dem geworden ist, was es heute
darstellt." Den Anteil der Firma am Betonmarkt im Raum Stuttgart
beziffert der Sprecher auf "rund 50 Prozent."

Insgesamt werden in und um Stuttgart pro Jahr etwa eine Million
Kubikmeter Beton verbaut. Stuttgart gehört damit zu den am härtesten
umkämpften Betonmärkten in Deutschland. Große Konzerne wie Daimler,
Porsche oder Bosch haben in der Stadt ihren Sitz, zudem starke
Mittelständler. Viele von ihnen sind oder waren Kunden des beschuldigten
Betonunternehmers. Die Zeiten, in denen dieser vornehmlich für
Häuslebauer produzierte, sind vorbei.

In den nächsten zehn Jahren wird der Betonmarkt in der baden-
württembergischen Landeshauptstadt weiter wachsen. "Stuttgart 21" wird
entstehen, "das bedeutendste Verkehrs- und Städtebauprojekt des 21.
Jahrhunderts", wie die Deutsche Bahn ihr Vorhaben nennt. Der Bahnhof wird
unter die Erde verlegt, oben drüber entsteht ein neues Stadtviertel.
Mindestens 2,8 Milliarden Euro soll das kosten.

Außerdem soll in Stuttgart eine Kulturmeile entstehen, eine neue
Landesbibliothek, ein neues Innenministerium und das Fußball-Stadium
umgebaut werden. Überall fließen Millionen Euro und viel Beton. Für die
nächsten zehn Jahre beziffern Branchenkenner den zusätzlichen Bedarf auf
mindestens drei Millionen Kubikmeter.




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