Welt, 19.10.08
Kernkraft
> Abschaltung von Atomkraftwerken verzögert sich
Die Abschaltung von Kernkraftwerken im Zuge des Atomausstiegs verzögert
sich bis nach der Bundestagswahl im September 2009. Die beiden ältesten
Meiler in Deutschland, Neckarwestheim 1 und Biblis A, bleiben vermutlich
bis 2010 am Netz. Angeblich verhindern Wartungsarbeiten die
Stilllegungen.
Der Ausstieg aus der Atomenergie verzögert sich offenbar. Die beiden
ältesten deutschen Kernkraftwerke, Neckarwestheim 1 und Biblis A, werden
nicht wie ursprünglich geplant noch vor der Bundestagswahl im September
2009 vom Netz gehen. Die Stilllegung der Meiler verschiebe sich
mindestens bis 2010, wie die Energiekonzerne EnBW und RWE mitteilten.
Grund seien turnusmäßige Wartungsarbeiten.
Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Renate Künast, sprach
dagegen in der "Welt am Sonntag" von "miesen Tricks der Atomlobby". Die
Energiekonzerne würden die Abschaltung der Kernkraftwerke bewusst
hinauszögern, weil sie nach der Bundestagswahl auf einen
atomkraftfreundlicheren Kurs in Berlin hofften. Damit zeige die Branche,
dass sie nicht zu dem Atomkonsens steht, den sie selbst unterschrieben
hat.
Nach dem Gesetz zum Atomausstieg von 2002 ergeben sich für die deutschen
Kernkraftwerke durchschnittliche Gesamtlaufzeiten von 32 Jahren, wobei
sich die jetzt noch verbleibenden Restlaufzeiten nicht nach Jahren,
sondern nach produzierter Strommenge berechnen. So hat etwa
Neckarwestheim 1 in Baden-Württemberg noch eine Restlaufzeit von rund 300
Tagen bis zum 15. August 2009. Derzeit steht der Meiler jedoch still. Es
laufe eine "planmäßige Revision, in deren Rahmen aufwendige
Instandhaltungsarbeiten durchgeführt werden müssen", sagte EnBW-Sprecher
Dirk Ommeln. Die Arbeiten könnten noch Wochen dauern. Und so werde die
Anlage vermutlich auch noch Anfang 2010 am Netz sein.
Ähnlich ist die Situation im südhessischen Biblis. Nach Berechnungen des
Bundesumweltministeriums dürfte der Reaktor BiblisA jetzt noch
durchgehend bis zum 30 August 2009 Strom produzieren. Doch das
Kernkraftwerk soll zwischen dem 27. Februar und 15. September 2009 für
eine seit langem angekündigte Revision vom Netz gehen. Die dann noch
verbleibenden Restlaufzeiten würden mindestens einen Betrieb bis zum
Frühjahr 2010 erlauben. Bereits im vergangenen Jahr hatte RWE-Chef Jürgen
Großmann in einem "Spiegel"-Interview erklärt, sein Unternehmen werde in
dieser Legislaturperiode kein Kernkraftwerk abschalten.
Der Reaktor BiblisA könne so gefahren werden, "dass wir mit den
Restlaufzeiten über die nächste Bundestagswahl kommen", sagte Großmann.
Danach gebe es dann vielleicht ein anderes Denken in Bevölkerung und
Regierung. Derzeit liefern in Deutschland noch 17 Kernkraftwerke in fünf
Bundesländern Strom. Die Meiler in Stade und Obrigheim sind bereits 2003
und 2005 planmäßig vom Netz gegangen. Auch das Kernkraftkraft im
schleswig-holsteinischen Brunsbüttel sollte eigentlich bald abgeschaltet
werden. Doch da es seit anderthalb still steht und Reparaturarbeiten
durchgeführt werden, dürften die Restlaufzeiten noch bis in das Jahr 2010
reichen.
Unabhängig von der aktuellen Diskussion über mögliche
Laufzeitverlängerungen hatten sich Union und SPD in ihrem
Koalitionsvertrag ursprünglich darauf verständigt, noch in dieser
Legislaturperiode die Frage der Endlagerung von hochradioaktivem Atommüll
zu klären. Doch nun werde die große Koalition dieses Thema wohl nicht
mehr angehen, wie der "Focus" unter Berufung auf Informationen aus dem
Kanzleramt meldete. Zu groß seien die Meinungsunterschiede.
So fordert die Union, den Salzstock Gorleben in Niedersachen zügig von
internationalen Experten auf seine Eignung prüfen zu lassen und zum
Endlager auszubauen. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) will sich
jedoch nicht auf Gorleben festlegen, sondern gleichzeitig auch mögliche
andere Standorte auf ihre Eignung prüfen lassen. Seit 1979 wird der
Salzstock Gorleben erkundet, bis die rot-grüne Bundesregierung im Jahr
2000 ein zehnjähriges Endlagermoratorium verhängte.
Im Atommüll-Zwischenlager in Gorleben stehen bereits 80 Spezialbehälter
mit Atommüll. Kurz vor den nächsten Castor-Transporten aus der
französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague haben Atomkraftgegner am
8. November eine Großdemonstration in Gorleben und Blockaden am 9. und
10. November auf der Castor-Transportstrecke angekündigt.
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Info-tel 07141 / 903363
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