Stuttgarter Zeitung, 30.01.09
> Was macht den Demonstranten zum Rädelsführer?
> Landgericht Heilbronn revidiert Verurteilung eines Atomkraftgegners, der an einer
unangemeldeten Kundgebung teilgenommen hat
Ludwigsburg. Der Vorsitzende des Demokratischen Zentrums Ludwigsburg ist nicht
automatisch auch Vorsitzender der hiesigen Atomkraftgegner. Mit dieser Feststellung hat das
Landgericht Heilbronn ein Amtsgerichtsurteil aufgehoben. Die Kosten trägt die Staatskasse.
Von Markus Klohr
Saal B des Heilbronner Landgerichts ist gestern Schauplatz heftiger Zusammenstöße
geworden. Hierarchisches Denken prallte auf anarchische Vereinsstrukturen. Recht und
Ordnung prallten auf die Anti-Atomkraft-Szene in Gestalt des Aktionsbündnisses Castor-Widerstand Neckarwestheim. Das Ergebnis war für die Beobachter kurios, ist für den
Steuerzahler aber nicht ganz billig.
Auf der Anklagebank saß der Vorsitzende des Demokratischen Zentrums Ludwigsburg
(DemoZ). Der 46-Jährige hat nie geleugnet, dass er am 14. Januar 2007 an einer
Demonstration gegen die Laufzeitverlängerung des Kernkraftwerks Neckarwestheim
teilgenommen hat - so wie rund 80 weitere Atomkraftgegner. Die Polizei war bereits vor den
Demonstranten da, die Veranstaltung verlief insgesamt friedlich und unspektakulär:
Transparente wurden aufgehängt (und später wieder entfernt), einige Teilnehmer ließen Anti-AKW-Parolen per Megafon verlauten, Kuchen und Tee wurden serviert.
Dennoch hatte der Nachmittag ein ebenso langwieriges wie kostspieliges juristisches
Nachspiel. Das erwähnte Aktionsbündnis der AKW-Gegner hatte zu der Aktion aufgerufen,
es jedoch versäumt, die Veranstaltung ordnungsgemäß anzumelden. So etwas gilt als
Straftat. Das Problem der Polizei war aber: sie hatte keinen Täter. Denn juristisch gesehen
braucht es für einen Strafbefehl eine oder mehrere Personen, die für die ungenehmigte
Demo verantwortlich sind. Das Aktionsbündnis kennt jedoch keine Hierarchien und hat somit
auch keinen Vorsitzenden.
Das brachte eine 53-jährige Heilbronner Kriminalbeamtin auf eine Idee. Weil auf dem Flyer,
der zur Demo aufrief, auch das politisch im linken Spektrum angesiedelte DemoZ erwähnt
wurde und das Aktionsbündnis Telefon, Konto und Räumlichkeiten des Ludwigsburger
Vereins nutzt, lag der Schluss für sie auf der Hand: der Vorsitzende des Vereins muss auch
der Rädelsführer der Anti-AKW-Aktion gewesen sein. Als ein Bietigheimer Polizeibeamter ihr
noch bestätigte, dass just jener 46-Jährige an der Demo teilnahm, erstattete sie
Strafanzeige. Das Amtsgericht Heilbronn verurteilte den Mann zu einer Geldstrafe von 60
Tagessätzen zu je 20 Euro. Weil dieser die 1200 Euro aber nicht zahlen wollte, landete die
Sache beim Landgericht.
Dort bot sich gestern ein etwas anderes Bild. Der etwas erstaunte Richter stellte nach einer
rund fünfstündigen Verhandlung fest, dass "in dieser Sache nicht sehr intensiv ermittelt
worden" sei. Sprich: die Polizei hatte schlicht das Demokratische Zentrum mit dem
Aktionsbündnis gleichgesetzt. Konkretere Beweise für die angebliche Rolle des Angeklagten
als Organisator gab es nicht. Und das DemoZ stellt nicht nur dem Aktionsbündnis seine
Infrastruktur zur Verfügung, sondern vielen Gruppen. Selbst der leicht verdutzte Staatsanwalt
musste zugeben, dass "der ursprüngliche Vorwurf wohl kaum zu halten sein wird".
Am Ende stand ein Quasi-Freispruch. Das Verfahren wurde ohne weitere Auflagen
eingestellt, der Richter deutete zudem noch an, dass seine Kammer "zu einer anderen
Beurteilung als das Amtsgericht" gelangt sei. Für die Verfahrenskosten muss nun die
Staatskasse aufkommen. Ein Betrag, der deutlich über den ursprünglich als Bußgeld
verhängten 1200 Euro liegen dürfte.
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[weitere Berichte finden sich auf der Internetseite des Aktionsbündnis]
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Aktionsbuendnis CASTOR-Widerstand Neckarwestheim
Info-tel 07141 / 903363
http://neckarwestheim.antiatom.net