Süddeutsche Zeitung, 18.02.2010

> CDU und Atom
> Kein Kehraus mit Koch

Mit dem Atomausstieg ist es wie mit dem Warten auf Godot: Er will einfach nicht kommen.
Und das ist in der CDU von Strategen wie Roland Koch gewollt.

Von M. Bauchmüller

(Bund und Länder haben alles getan, um die Abkehr vom Atomaustieg vorzubereiten. (Foto:
ddp))

Die Länder haben längst die Abkehr vom Atomausstieg vorbereitet. Da wäre zum Beispiel
Paragraph eins des Atomgesetzes, die "Zweckbestimmung". Sie gefällt den Ländern Hessen
und Baden-Württemberg gar nicht. Als Zweck des Gesetzes gilt nämlich in der geltenden
Fassung, "die Nutzung der Kernenergie (...) geordnet zu beenden". Viel besser, so finden
beide Länder, wäre deshalb ein anderer Zweck: Nämlich "die geordnete Nutzung der
Kernenergie (...) sicherzustellen".

Es ist nur einer von dutzenden Formulierungsvorschlägen der beiden Länder, fein säuberlich
aufgelistet und ins Juristendeutsch übertragen in einer Gegenüberstellung des bisherigen
Atomgesetzes und einer "Fassung nach 2009".

Wer noch nicht weiß, wie sich die Laufzeiten der 17 deutschen Reaktoren verlängern lassen,
findet den Metaplan in Wiesbaden und Stuttgart. Längst sind beide Länder vorbereitet. Die
Absicht ist überdeutlich: Die Kernkraftwerke sollen länger laufen, insbesondere auch
Hessens Meiler Biblis A und Neckarwestheim 1 in Baden-Württemberg. Denn deren Laufzeit
neigt sich bedrohlich dem Ende zu.

Unmittelbar nach der Bundestagswahl wandten sich Hessens Ministerpräsident Roland Koch
und sein damaliger baden-württembergischer Amtskollege Günther Oettinger (beide CDU)
deshalb an Bundeskanzlerin Angela Merkel - mit einem ganzen Stapel von Unterlagen.

Die Umweltministerien beider Länder hätten "gemeinsam die entsprechenden
Fragestellungen aufgearbeitet und Textentwürfe und dazu notwendige Vereinbarungen und
Gesetzesänderungen gefertigt", schrieben Koch und Oettinger, der inzwischen EU-
Energiekommissar ist. "Wir erlauben uns, dieses gesamte Paket Ihnen zu übersenden."

Keine konkreter Ausstiegstermin

Das Paket hat es in sich. Denn haarklein stellen die Ministerpräsidenten in ihrem "Strategie-
und Schrittfolgepapier Kernenergie" nicht nur dar, was sie unter einer Laufzeitverlängerung
verstehen. Sie legen auch unverblümt die Probleme offen, die sie in der einen und anderen
Variante sehen. So empfehlen beide Länder, die Laufzeiten nicht einfach nur um ein paar
Jahre zu verlängern.

"Von einer konkreten zeitlichen Festlegung sollte Abstand genommen werden", heißt es in
dem Papier. Besser sei es, die Laufzeiten "von der Einhaltung bestimmter
Sicherheitsanforderungen (...) abhängig zu machen" - und nur davon. Schließlich hätten auch
"ältere Anlagen ein Sicherheitsniveau, das an neuere Anlagen heranreicht".

Ein mögliches Problem liefern die Länder gleich mit: Denn das Vorhaben brauche womöglich
die - keineswegs sichere - Zustimmung des Bundesrates. Und zwar dann, "wenn das Gesetz
durch die Änderung eine neue Tragweite und Bedeutung für den Vollzug durch die Länder
erfahre".

Die Länder führen die Atomaufsicht im Auftrag des Bundes. Müssen sie dies länger und
intensiver tun als bisher, bedeutet das mehr Personalaufwand. Abschließend klären lasse
sich dies noch nicht. "Es wird aber angeregt, zu dieser Frage frühzeitig ein Rechtsgutachten
einzuholen", empfehlen die Autoren.

Sinkende Stromkosten unwahrscheinlich

Auch die mögliche Verwendung zusätzlicher Gewinne - nach Auffassung der beiden Länder
400 bis 800 Millionen Euro je Reaktor und Extrajahr Laufzeit - erscheint alles andere als
einfach. So lasse sich der Zusatzgewinn einerseits schwer kalkulieren, andererseits schwer
eintreiben. Eine gesetzliche Regelung etwa sei "rechtlich sehr risikoreich" und könne am
Verfassungsgericht scheitern.

Ähnliche Bedenken hatte kürzlich Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) geäußert.
Am besten, so raten die Länder, eigne sich eine Art "Deutsche Stiftung Energieforschung",
gespeist aus den Zusatzgewinnen. Vorbild könne die Landesstiftung Baden-Württemberg
sein, mit 2,4 Milliarden Euro Vermögen eine der größten privaten Stiftungen Deutschlands.
Das Geld könne dann in die Erforschung und Förderung erneuerbarer Energien fließen.
Nicht jedoch, wie eigentlich erwogen, an Stromkunden.

Hatten Union und FDP noch im Wahlkampf damit geworben, längere Laufzeiten würden
auch die Stromkosten der Haushalte dämpfen, wird dies in dem Papier nun weitaus
nüchterner diskutiert. Schließlich sei die Laufzeitverlängerung nur einer von mehreren
Faktoren, der den Strompreis bestimme. "Insgesamt ist eine verbindliche Verpflichtung zur
Senkung der Strompreise sowohl unter rechtlichen als auch marktwirtschaftlichen
Gesichtspunkten nur schwer vorstellbar", schließen die Autoren.

Greenpeace spricht vom "Wählerbetrug"

Umweltschützer sind empört. "Dieses Papier deckt einen Wählerbetrug auf", sagt Tobias
Münchmeyer von Greenpeace. Die CDU habe im Wahlkampf eine verbindliche Vereinbarung
zur Strompreissenkung durch Laufzeitverlängerung versprochen, "obwohl sie nachweislich
wusste, dass das gar nicht geht". Und auch Hessen und Baden-Württemberg hatten sich
mehr davon versprochen.

"Der Bund ist am Zug", heißt es etwa in Stuttgart. "Nur bewegt er sich nicht zwingend in
unsere Richtung." Ungeklärt ist auch immer noch, welche Rolle der Bundesrat spielen
könnte, ob er zustimmen muss oder nicht. Dabei könnte dies der Landtagswahl in Nordrhein-
Westfalen ganz anderes Gewicht geben, denn dort steht auch die schwarz-gelbe Mehrheit in
der Länderkammer auf dem Spiel. Die NRW-Wahl würde zum Votum über den
Atomausstieg.

Ein entsprechendes Rechtsgutachten holen nun andere ein: die Grünen.

(SZ vom 19.02.2010/jcb/gba)

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/414/503635/text/5/print.html



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