[memo: Heute im DemoZ Ludwigsburg, 19.30 Uhr:
"30 Jahre Widerstand - 30 jahre Freie Republik Wendland"
mit Kerstin Rudek von der BI Lüchow-Dannenberg]


Frankfurter Rundschau, 04.04.10

> Damals ist heute im Wendland

Gastbeitrag von Wolfgang Ehmke

Als am 3. Mai 1980 ein vielköpfiger Zug von Trebel aus in den Gorlebener Wald zog, dorthin,
wo die Tiefbohrung 1004 geplant war, lachte die Sonne. Und es lachten die Protestler. Sie
folgten nämlich der Bekanntmachung des Untergrundamtes 3131 Gorleben-Soll-Leben,
Postfach 1004, um einen Platz zu besetzen, und natürlich wurde als erstes ein
Freundschaftshaus gebaut.

Das sind Orte jener merkwürdigen Verquickung von Protest und Lebensfreude, Aufbegehren
und Begegnung, mit ihrem Mix aus Vortrag, Palaver und Kulturprogramm. Das hat Tradition.
Das erste Freundschaftshaus wurde bei der Platzbesetzung im Wyhler Wald errichtet.

Nach jahrelangen Auseinandersetzungen, Demonstrationen und Grenzblockaden stürmten
im Februar 1975 nach einer Kundgebung mit 28.000 Teilnehmer/innen Tausende das
Baugelände und besetzten den Platz - es war die "Geburtsstunde" der Anti-Atom-Bewegung.

Viele Geburtshelfer gab es. Da war die Bewegung in den 50er Jahren gegen den Atomtod,
gegen die drohende atomare Bewaffnung der Bundeswehr und die Gefahren der Proliferation
der Atomtechnologie, die ihren militärischen Ursprung gern verleugnete. Schließlich war da
die Studentenrevolte mit ihren Happenings: den Sit- und Go-, den Love- und Teach-Ins.

Republik mit Puppenspiel

Die Freie Republik Wendland, das Hüttendorf auf der Tiefbohrstelle 1004 über dem
Salzstock Gorleben, war das herausragende Beispiel einer Symbiose von Kunst und
Wissen/schaft. Jo Leinen hielt einen Vortrag über Friede und Ökologie. Das Puppenspiel
"Die Bundschuhbauern" wurde aufgeführt.

Walter Mossmann kam und blieb auf 1004 und kreierte das Gorlebenlied. Es gab ein eigenes
Radio, es wurde gefilmt und es gab und gibt Filme über die Platzbesetzung, jene sechs
Wochen "anarchistischen Frühlings" im Mai und Juni 1980.

Freie Republik Wendland (Bild: dpa)

Es gab Dichterlesungen mit Klaus Schlesinger, Wolf Biermann war da und der Juso Gerhard
Schröder. Es gab Rock, Folk und Blues, Schweine, Hühner, eine Solaranlage, ein
Frauenhaus und wo man hinhörte: Diskussionen. Beim Zähneputzen, Abwaschen und auf
dem Donnerbalken. Über Demokratie und Polizeigewalt, über Halbwertzeiten und
Bohrergebnisse.

Es war ein (Über-) Lebensdorf und nachhaltig, nicht nur in den Parolen, die bis heute
Bestand haben: Atomkraft nein - danke mutiert nämlich zu Sonnen-, Wind- und Wasserkraft
- ja bitte. Das Leben auf 1004 war gelebter Widerstand.

Dass Begriffe wie 1004 nicht abgegriffen sind, liegt nicht nur am anhaltenden Widerstand im
Lande gegen die Atomkraft und Gorleben als nukleares Endlager. Es liegt an der politischen
Tagesaktualität.

Erst im Sommer 2009 flog auf, dass nach Auswertung der Tiefbohrungen, zu denen 1004
gehörte, im Mai 1983 auf Weisung der Bonner Regierung unter Helmut Kohl Akten der
federführenden Behörde, der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, geschönt wurden.
Bedenken wurden entschärft, die Empfehlung, andere Standorte zu untersuchen, wurde
gestrichen.

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Berlin ist jetzt mit diesen Vorgängen
befasst. Auf diesem schwankenden Grund bewegt sich der Ausbau eines Bergwerks im
Gorlebener Salz als Endlager für hochradioaktive Abfälle.

Und derzeit vergeht kein Tag, an dem in den Medien nicht über den Prototyp von Gorleben,
das absaufende Atommüllendlager Asse, und Gorleben berichtet wird. Denn die Wahl
Gorlebens geschah gegen wissenschaftlichen Rat, daran knüpft heute Norbert Röttgen
(CDU), der "grüne Schwarze", an, er tarnt die Absicht, Gorleben nach dem 10jährigen
Moratorium weiter auszubauen, mit dem Begriff "Erkundung", die aber ist alternativlos -
ergebnisoffen. Da sehen wir aber schwarz für ihn.

Neuanfang

Da lachen die Protestler: Ein Freundschaftshaus in Gorleben steht schon wieder, die Bauern
haben es gebaut. Fast jeden Sonntag wird am Schwarzbau Gorleben demonstriert, jeden
Sonntag halten Christen im Wald eine Andacht.

2009 treckten wir nach Berlin, am 21. April trecken wir nach Krümmel. Wir brauchen sie
immer noch, die Freundschaftshäuser, solange der Kampf gegen die Atomkraft nicht
gewonnen und Gorleben nicht zu Fall gebracht wurde.

Am 4. und 5. Juni, 30 Jahre nach der Räumung von 1004, sind wir alle wieder da. Die "alten"
Junggebliebenen von 1980, die "jungen" Kluggewordenen der letzten Jahre. Rock, Blues,
Filme und ein Wiedersehen wird es geben, wir tanzen, klönen, diskutieren und - umzingeln
den Schwarzbau. Wie hieß es damals? "Turm und Dorf könnt Ihr Zerstören, aber nicht
unsere KRAFT, die es schuf!" Damals ist heute.

Zum Autor
Wolfgang Ehmke ist Mitgründer der Bürgerinitiative Lüchow Dannenberg und Mit-Initiator der
ersten Anti-Atomdemos im Wendland. Am 3. Mai jährt sich die Gründung der Republik
Freies Wendland zum 30. Mal.

http://fr-online.de/in_und_ausland/politik/doku_und_debatte/2608773_Gastbeitrag-von-
Wolfgang-Ehmke-Damals-ist-heute-im-Wendland.html


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