dpa, 22.05.08

> Gabriel untersagt Weiterbetrieb von AKW Neckarwestheim 1

Berlin - Bundesumweltminister Sigmar Gabriel will offenbar einer
Laufzeitverlängerung für das Atomkraftwerk Neckarwestheim 1 über 2009
hinaus nicht zustimmen. Ein entsprechender Antrag des Energiekonzerns
EnBW werde "in Kürze", voraussichtlich noch in diesem Monat, offiziell
abgewiesen, erfuhr die "Welt" aus Regierungskreisen. Als Grund wird der
nach Auffassung des Ministeriums geringe Sicherheitsstandard im
Atomkraftwerk Neckarwestheim 1 genannt, hieß es.

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Die Welt, 22.05.08

Von Daniel Wetzel

> Neckarwestheim
> Merkel will Atomkraftwerk länger laufen lassen

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Michael Glos wollen
das AKW Neckarwestheim länger am Netz lassen als bisher geplant. Doch das
SPD-geführte Bundesumweltministerium blockiert den Plan. Umweltminister
Sigmar Gabriel will sich nicht vom Atomausstieg abbringen lassen.

Der Streit über die Nutzung der Atomkraft in Deutschland gewinnt ein Jahr
vor der Bundestagswahl an Schärfe. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
setzt sich jetzt gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Michael Glos
(CSU) dafür ein, die Laufzeit des süddeutschen Atomkraftwerks
Neckarwestheim 1 um rund acht Jahre zu verlängern.

Das geht aus zwei Schreiben an das Bundesumweltministerium hervor, die
WELT ONLINE exklusiv vorliegen. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD)
will die Forderungen jedoch ignorieren und "in Kürze" über die
Abschaltung des Meilers schon 2009 verfügen.
Schwere Mängel im Gesetz
Der Streit enthüllt den tief greifenden Dissens innerhalb der
Bundesregierung über die künftige Rolle der Kernenergie in Deutschland.
Möglich gemacht wurde die Auseinandersetzung allerdings erst durch
schwere Formulierungsmängel im Atomgesetz. Leidtragende in diesem Fall:
Die Stromverbraucher und die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW).

Der südwestdeutsche AKW-Betreiber hatte am 21. Dezember 2006 beim
Bundesumweltministerium beantragt, "Reststrommengen" vom AKW-Block
Neckarwestheim 2 auf den Block 1 am gleichen Standort übertragen zu
dürfen, um dessen Weiterbetrieb bis 2017 zu ermöglichen. Eine solche
flexible Umverteilung genehmigter Produktionsmengen ist laut Atomgesetz
möglich, um die Kraftwerksbetreiber für die wirtschaftlichen Nachteile
des Atomausstiegs zu entschädigen. Allerdings darf die Laufzeit einzelner
Atomkraftwerke laut Gesetz nur dann auf diese Weise verlängert werden,
"wenn das Bundesumweltministerium im Einvernehmen mit dem
Bundeskanzleramt und dem Bundeswirtschaftsministerium zustimmt".

Doch nichts ist in dieser Frage offenbar schwerer herzustellen als
Einvernehmen. Am 18. Februar diesen Jahres teilte der Staatssekretär im
Bundesumweltministerium, Matthias Machnig (SPD), dem Kanzleramt und
Wirtschaftsministerium schriftlich mit, dass sein Haus die Strommengen-
Übertragung im Falle EnBW nicht genehmigen wolle. Grund: Das
Atomkraftwerk Neckarwestheim 1 sei älter als der Block 2 und damit als
unsicherer einzustufen. Einem AKW mit geringerem Sicherheitsniveau dürfe
aber keine längere Laufzeit zugebilligt werden.

Sicher sind sie alle

Das Sicherheitsargument hatten Gabriel und sein Staatssekretär bereits
früher erprobt: Auch bei einem vergleichbaren Antrag der RWE AG auf
Strommengen-Übertragung vom Atomkraftwerk Emsland auf Biblis A hatte der
Umweltminister bereits einen Sicherheitsvergleich verlangt.

Nur: Das Atomgesetz sieht die Notwendigkeit eines Sicherheitsvergleichs
gar nicht vor. Gabriel berief sich jedoch bei seiner Forderung auf ein
Gutachten des Verwaltungsrechtlers Joachim Wieland von der
Verwaltungshochschule Speyer. Dessen Tenor: Bei allen Auslegungen des
Atomgesetzes seien immer Sicherheitsüberlegungen maßgeblich, das ergebe
sich schon aus dem Zweck und der Systematik des Gesetzes.

Ein fragwürdiges Argument, befand RWE - und legte gegen den ablehnenden
Entscheid im Fall Emsland-Biblis A sofort Widerspruch ein. Denn: Sicher
sind nach gesetzlicher Definition alle deutschen Atomkraftwerke, auch die
alten. Ein unsicheres AKW müsste ja sofort abgeschaltet werden. Damit
gebe es auch keinen Grund für eine vergleichende Sicherheitsanalyse
zwischen den Anlagen Emsland und Biblis A, befanden die Rechtsexperten
der RWE, denen die Logik des Umweltministers partout nicht einleuchten
wollte.

Wenn alle älteren Atomkraftwerke per se als unsicherer angesehen werden
müssen - wie der Umweltminister glaubt - warum hat der Gesetzgeber dann
die Möglichkeit der Laufzeitverlängerung für ältere Meiler überhaupt in
das Atomgesetz aufgenommen?
Kanzleramt widerspricht heftig
Diese Rechtsauffassung der Kraftwerksbetreiber wird im Falle
Neckarwestheim auch vom Bundeskanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium
geteilt. Dem ablehnenden "Bescheidentwurf" des Bundesumweltministers
widersprachen die beiden Häuser daher umgehend und heftig. In einem
Schreiben vom 17. März wies Ulrich Roppel, Ministerialdirektor im
Bundeskanzleramt, das Umweltministerium darauf hin, dass
Sicherheitsaspekte bei der fraglichen Entscheidung laut Atomgesetz eben
keine Rolle spielen dürfen. Im Wortlaut des Gesetzes seien
"Anhaltspunkte, dass die Anlagensicherheit ein Prüfkriterium sein soll,
nicht zu erkennen". Um diesen Punkt ganz deutlich zu machen, legte Roppel
dem Brief sogar ein 51-seitiges Rechtsgutachten des Vorsitzenden Richters
am Bundesverwaltungsgericht a.D., Günter Gaentzsch, bei. "Im Ergebnis",
schloss Merkels Ministerialdirektor, "vermag ich daher keine
Gesichtspunkte zu erkennen, die es rechtfertigen, dem Antrag nicht
stattzugeben."
Schlagworte
Angela Merkel Michael Glos Atomausstieg Atomreaktor Sigmar Gabriel EnBW
Atomenergie RWE Strompreis
Auch das Wirtschaftsministerium widersprach den Kollegen aus dem
Umweltressort. Jochen Homann, beamteter Staatssekretär im Glas-
Ministerium, führte in einem Schreiben an den "sehr geehrten Herrn
Staatssekretär, lieber Herr Machnig" auf vier Seiten aus, warum er dessen
Gründe für die Ablehnung nicht teilen könne.
So verwahre sich das Wirtschaftsministerium etwa dagegen, dass der
Umweltminister theoretische "Was-wäre-Wenn-Szenarien" vom Energiegipfel
letzten Jahres auf einmal als offizielle Regierungsprognosen umgedeutet
hatte. Ohnehin habe das Umweltministerium eine "selektiv ausgewählte
Darstellung" aus diesen Szenarien verwendet, um seine Anti-Atom-
Entscheidung zu begründen - die Szenarien insgesamt besagten das exakte
Gegenteil. Insbesondere die These des Gabriel-Ministeriums, Kernenergie
könne "die Importabhängigkeit von Öl und Gas nur minimal mindern", sei
nicht akzeptabel, beschied Homann. Dieses Argument des Umweltministeriums
sei "sachlich angreifbar" und "oberflächlich".

Strompreise steigen noch stärker

Der Behauptung, der wegfallende Atomstrom könne leicht durch "billigen"
Ökostrom ersetzt werden, widersprach das Wirtschaftsministerium ebenso
scharf. Denn in diesem Fall würden höhere Abgaben aus dem Erneuerbare-
Energien-Gesetz (EEG) die Verbraucher belasten, "so dass der Strompreis
inklusive der vom Staat verursachten Strompreisbelastungen auf jeden Fall
steigen dürfte."

Weil wohl auch fossile Kraftwerke als Ersatz herangezogen werden müssten,
werde ohnehin der Großhandelspreis für Strom insgesamt steigen, ist der
Wirtschaftsstaatssekretär überzeugt: "Somit sprechen zusammenfassend auch
betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche sowie
energiewirtschaftliche Gesichtspunkte für die Erteilung der Zustimmung."
Gabriels Alleingang
Doch Bundesumweltminister Gabriel und seinen Staatssekretär Machnig stört
das wenig. Wenn das gesetzlich geforderte "Einvernehmen" nicht
herzustellen sei, werde man die Causa Neckarwestheim eben allein
entscheiden, heißt es aus dem Umfeld des Ministeriums: "In Kürze",
womöglich noch diesen Monat, werde EnBW der ablehnende Bescheid zugehen.
Die Rechtfertigung ziehen Minister Gabriel und sein Staatssekretär aus
einer spitzfindigen Auslegung des Atomgesetzes: Dort heiße es ja im
Wortlaut, dass nur im Falle einer Genehmigung "Einvernehmen" mit
Kanzleramt und Wirtschaftsministerium herzustellen sei. Im Umkehrschluss
bedeute dies, dass eine Ablehnung auch ohne Einvernehmen ausgesprochen
werden könne.
Bei der Ablehnung des RWE-Antrags im Falle Biblis A im Frühjahr hatte das
Argument funktioniert: Kanzleramt und Wirtschaftsministerium hatten da
jedenfalls noch zähneknirschend akzeptiert, bei der Entscheidung über
Laufzeitverlängerungen vom Bundesumweltminister ausgebootet zu werden.

Ob Gabriel auch diesmal mit dieser Taktik durchkommt, wird nicht nur beim
EnBW-Konzern in Karlsruhe mit Spannung erwartet: Auch Vattenfall Europe,
der dritte große Kraftwerksbetreiber in Deutschland, hatte beim
Bundesumweltminister gerade eine Strommengenübertragung zwischen seinen
Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel beantragt.



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