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Proteste gegen Sarkozys Atom-Renaissance in Paris
(auch zu Bure, EPR, AKW-Panne Tricastin..) von Ralf Streck 13.07.2008
Die französische Regierung will die angeblich "saubere" Atomkraft zum
Verkaufsschlager des Mittelmeergipfels zu machen
Tausende Menschen sind dem Aufruf der Atomkraftgegner gefolgt und haben
am Samstag in der französischen Hauptstadt Paris gegen die Atompolitik
der Regierung demonstriert. Vor dem Gründungsgipfel zur Mittelmeerunion
zeigten die Atomkraftgegner ihren Widerstand gegen die Pläne, weltweit
eine Renaissance der Atomkraft (1) einzuläuten. Die soll nach dem
Willen von Präsident Nicolas Sarkozy und dem halbstaatlichen
französische Energieversorger EDF Frankreich anführen, wozu der Gipfel
und die neue Union als Verkaufsplattform dienen sollen. Zunächst
kündigte Sarkozy kürzlich den Bau eines zweiten neuen Atommeilers an,
während die EDF weltweit mindestens zehn neue Atomkraftwerke bauen
will. Die leidige Endlagerfrage soll mit dem Bau eines Endlagers in
Lothringen begraben werden. Doch die Vorgänge dort sind so
undurchsichtig, wie der Skandal um den Unfall im Atomkraftwerk
Tricastin.
Das französische Netzwerk der Atomkraftgegner Sortir du nucléaire (2)
hatte zur Großdemonstration aufgerufen und Tausende Menschen sind dem
Aufruf gefolgt, um "Für ein Welt ohne Atomkraft" einzutreten. Nach
Angaben des Netzwerks, in dem mehr als 800 Gruppen zusammengeschlossen
sind, haben 7000 Menschen in der französischen Hauptstadt demonstriert.
Teilgenommen hatten auch Atomkraftgegner aus Deutschland, Türkei,
Bulgarien, Finnland, Irland, den USA, Australien und dem Niger, wo der
Uranabbau die Lebensgrundlage der Tuareg zerstört. Ein Drittel des
französischen Urans kommt aus dem Land und wird es auch im offenen
Tagebau gefördert, wodurch großen Mengen freigesetzt werden. Zeitgleich
zur Demonstration gab es auch an anderen Orten Proteste, wie die
Besetzung eines Hochspannungsmasts (3).
Die Proteste mitten in den Sommerferien waren den Atomkraftgegnern sehr
wichtig, weil sie Sarkozy vorwerfen (4), die EU-Ratspräsidentschaft,
die Frankreich am 1. Juli übernommen hat, in den kommenden sechs
Monaten zu nutzen, um seine Atompläne voranzutreiben. Sie wenden sich
gegen die Strategie von Sarkozy, die Atomkraft mit dem Klimawandel zu
verknüpfen: "Die Atomenergie ist eine gefährliche Illusion, um den
Klimawandel zu bekämpfen", heißt es im Aufruf.
Weiterhin machten sie aber auch auf die Vorgänge im kleinen Dorf Bure
(5) aufmerksam. Unter Umgehung aller gesetzlichen Vorschriften zur
Suche für einen Endlagerstandort, wird in dessen Umgebung in Lothringen
nun ein Endlager vorangetrieben. Die geforderten Forschungen in einer
Lehm-Ton Schicht in 500 Meter Tiefe haben praktisch nicht stattgefunden
und etliche Probleme sind dort schon jetzt bekannt. Mangels
Alternativen will man hier, in der fast menschenleeren Gegend, wo
Widerstand (6) nur schwer zu entwickeln ist, die lästige Atommüllfrage
definitiv beerdigen, die für die Renaissance der Atomenergie benötigt
wird. Die Probebohrungen in der Region um Bure haben inzwischen
begonnen (7), um den definitiven Standort in der etwa 200
Quadratkilometer großen Schicht zu bestimmen.
Immer wieder hatten die Atomkraftgegner der französischen Regierung
vorgeworfen, die Atomkraft zu den erneuerbaren Energien umdefinieren zu
wollen. Anders kann es, angesichts der Zentrierung der
Sarkozy-Regierung auf die Atomkraft, kaum erreicht werden, die EU-Ziele
zu erfüllen. Beschlossen (8) wurde, die Treibhausgase bis 2020 um 20
Prozent zu senken und den Anteil von erneuerbarer Energie an der
Energieversorgung auf ein Fünftel zu steigern.
Frankreich produziert schon jetzt 80 Prozent seines Stroms über
Atomkraftwerke. Derzeit wird an einem Reaktor, dem umstrittenen
European Pressurized Reaktor ( EPR (9)) in Flamanville gebaut,
allerdings begleitet von ständigen Pannen (10). Im Mai wurde ein
Baustopp wegen Sicherheitsmängeln und Schlampereien verhängt. Ohne
jegliche Notwendigkeit und öffentliche Diskussion, wie auch die
Gewerkschaften kritisieren, hat Sarkozy gerade trotzdem den Bau eines
weiteren EPR angekündigt (11). So kritisiert (12) zum Beispiel die
große CFDT, dass schon jetzt 10 % des Stroms exportiert würden und er
auch seinen eigenen Zielen widerspreche, für mehr Effizienz und für
Einsparungen zu sorgen.
Auch die ehemalige sozialistische Umweltministerin Corinne Lepage
kritisiert (13) die völlig einseitige Ausrichtung der französischen
Politik:
--Die drei Milliarden Euros, die ein EPR Reaktor kostet, werden bei den
Investitionen für erneuerbare Energien fehlen und für den Bau vom
energiesparenden Häusern etc. Die öffentlichen Forschungsgelder gehen
zu über 80 Prozent in die Atomtechnologie und nur fünf Prozent sind für
erneuerbare Energien übrig. So lange diese Art von Logik vorherrscht,
gibt es keine Hoffnung.--
Frankreich soll zur nuklearen Energiegroßmacht werden
So sieht Sarkozys Strategie vor, sich ausreichend politische Verbündete
zu schaffen, um die Umdefinition von Atomkraft als grüne Energie
durchzusetzen. Das Gründungstreffen zur Mittelmeerunion ist dafür eine
hervorragende Plattform: "Sarkozy hat die europäischen und die
Mittelmeer-Staatschefs nur eingeladen, um Atomkraft an den ganzen
Planeten zu verkaufen", sagte (14) Alain Rivat, Sprecher der
französischen Atomkraftgegner, während seiner Rede auf dem Platz der
Republik.
Sein Kollege Stéphane Lhomme betonte, dass die Atomkraft unwirksam sei
im Kampf zum Schutz des Klimas sei und auch nicht dafür tauge, die
Energiepreise stabil zu halten. Das hätten kürzlich die Proteste (15)
der Fischer, Transporteure und Autofahrer gezeigt, die ausgerechnet im
Atomstromland Frankreich ihren Ausgangspunkt hatten. Sarkozy geht Hand
in Hand mit den Vorstellungen des halbstaatlichen französischen
Energieversorgers Electricite de France ( EdF (16)). Der, nach eigenen
Angaben, weltweit größte Atomstromproduzent will seine Führungsrolle
ausbauen. Auf einer Konferenz teilte (17) die Firma am Mittwoch in
Stuttgart mit, neben den beiden EPR in Frankreich bis 2020 mindestens
zehn weitere Druckwasserreaktoren bauen zu wollen. Der vom
französischen Staat dominierte Konzern plane den Bau von mindestens
vier Reaktoren in den USA, zwei in China, bis zu vier in Großbritannien
und eventuell eines Meilers in Südafrika.
Dass dies ausgerechnet vor dem Pariser Gründungsgipfel geschah, dürfte
kein Zufall sein. Hier will Sarkozy seine Pläne weiter vorantreiben,
Frankreich zur Energiegroßmacht zu machen (18). Auffällig ist, dass bei
den Planungen der EDF das geplante Atomkraftwerk in Libyen nicht
auftaucht. Offenbar sind die Beziehungen zu Muammar Ghaddafi (19)
deutlich abgekühlt, denn als einziger nordafrikanischer Staatschef, von
Sarkozy heftig umworben, nimmt Ghaddafi am Gipfeltreffen nicht teil.
EdF, die selbst vom französischen Staat vor Beteiligungen aus dem
Ausland geschützt wird, ist allüberall an Energieversorgern beteiligt,
in Deutschland etwas zu 45 Prozent am drittgrößten Energieversorger
EnBW, und betreibt rund um den Globus 58 Atomkraftwerksblöcke. Auch
französische Konzerne, wie der Ölmulti Total, die bisher kaum etwas mit
der Atomkraft zu tun hatten, haben ihre langfristigeren Planungen
vorangetrieben. Totals Präsident hat öffentlich gemacht, dass ein
Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten bereits abgeschlossen
sei. Darüber will sich Total durch die Hintertür Zugang zu weiteren Öl-
und Gasreserven im Nahen Osten verschaffen. Die Meiler sollen ebenfalls
mit dem französischen Nuklearkonzern Areva errichtet werden, der
Druckwasserreaktoren in Frankreich und Finnland bereits baut. Doch auch
in Finnland häufen sich beim Olkiluoto 3, dem ersten EPR-Projekt, die
Probleme (20). Die Kosten schießen in die Höhe und die Bauzeit hat sich
schon jetzt um zwei Jahre verzögert.
Panne in Tricastin kommt Atomkraftgegnern zugute
Die Demonstration der französischen Atomkraftgegner war zwar seit
langem vorbereitet, doch letztlich hat ausgerechnet die Atomlobby mit
ihrem unverantwortlichen Verhalten in Tricastin (21) ihr eine deutlich
größere Bedeutung verschafft. Wieder einmal bestimmen Verdunkelung,
Verheimlichung und Verniedlichung die Vorgänge von Seiten der Betreiber
von gefährlichen Atomanlagen. Bis heute gibt es keine verlässlichen
Informationen über das ganze Ausmaß. Inzwischen ist allerdings klar,
dass die Öffentlichkeit erst mit einem Tag Verspätung informiert wurde.
Deshalb dürften Menschen mit dem kontaminierten Wasser in Kontakt
gekommen sein, denn viele Stunden vergingen, bis sie davor gewarnt
wurden, das Wasser nicht mehr zu trinken, nicht im Fluss zu baden oder
die Fische daraus zu essen.
Nach Angaben von Experten ist das ausgetretene Uran hochtoxisch und
wird im menschlichen Körper in Niere, Leber oder Knochen eingelagert,
wo es krebserregend und erbgutschädigend wirke. Selbst wenn man den
Angaben der französischen Atomaufsicht glaubt, dann wäre der deutsche
Grenzwert, von 10 Mikrogramm pro Liter Trinkwasser Tausendfach
überschritten worden. Die französische Atomaufsicht Autorité de Sûreté
Nucléaire ( ASN (22)) hat nun die Schließung der betroffenen
Betriebseinheit angeordnet. Die Betreiberfirma Socatri, eine
Tochterfirma von Areva, rechtfertigte den Zwischenfall mit
Modernisierungsarbeiten. Diesen Teil der Anlage habe man in den
"kommenden Wochen" ohnehin schließen wollen. Die ASN will ihren Bericht
nun an die Staatsanwaltschaft in Carpentras übergeben. Die bisherigen
Untersuchungen hätten ergeben, dass die nach dem Unfall von der Firma
Socatri (23) getroffenen Sicherheitsmaßnahmen "nicht vollständig
zufriedenstellend" seien.
Wie viel des hochtoxischen Urans ausgetreten ist, ist weiter unklar.
Zunächst war von 360 Kilogramm die Rede. Ausgerechnet die ASN versucht
zu beschwichtigen, schon bevor sie Ergebnisse ihrer Untersuchungen hat
und spricht nun von 75 Kilogramm. Unklar ist weiter, welche Mengen des
kontaminierten Wassers in die Flüsse gelangt sind. Nach Angaben der
Betreiberfirma sei ein Teil auf dem Betriebsgelände versickert und
damit kann nicht ausgeschlossen werden, dass es ins Grundwasser
gelangt. Ohnehin ist das zweitgrößte Atomkraftwerk Tricastin - und
eines der ältstesten - bei der ASN kein Unbekannter. Mehrfach, so zum
Beispiel im vergangenen Jahr, wurde gerügt, dass das Leitungsnetz an
mehreren Stellen undicht sei und erhebliche Grenzwertüberschreitungen
bei radioaktivem und chemischem Material gemessen wurden. Nach dem
ASN-Bericht müssten die Leitungen umgehend erneuert werden. Das große
AKW ist sogar noch am Netz, obwohl die ASN schon vor sechs Jahren zu
dem Ergebnis kam, bestimmte Vorsorgemaßnahmen zur Reaktorkühlung
könnten bei einem Erdbeben nicht mehr sichergestellt werden. Dem Labor
unabhängiger Atomforscher ( Criirad (24)) sollen auch Hinweise
vorliegen, wonach 760 Tonnen Atommüll unsachgemäß unter einem Erdhaufen
auf dem Gelände gelagert werde.
Trotz aller Rügen und Probleme blieb man bei der ASN bisher
nachsichtig, statt effektive Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung zu
ergreifen. Die Stadt Avignon, mit knapp 100.000 Einwohnern, liegt nur
etwa 40 Kilometer entfernt. Die Atomkraftgegner werfen der
Aufsichtsbehörde vor, die Vorgänge zu banalisieren und letztlich die
unhaltbaren Zustände zu vernebeln (25). Dass die vier Meiler, die zu
Beginn der 1980er Jahre noch am Netz sind, hat mit dem Stromhunger zu
tun, welche die benachbarte Urananreicherungsanlage hat. Zwei Drittel
des erzeugten Stroms geht in die Anlage von Eurodif, ebenfalls eine
Tochterfirma von Areva.
LINKS
(1) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26814/1.html
(2) http://www.sortirdunucleaire.org
(3)
http://www.france-info.com/spip.php?article160110&theme=69&sous_theme=69
(4) http://www.sortirdunucleaire.org/12juillet-paris
(5) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23279/1.html
(6) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26086/1.html
(7)
http://www.lefigaro.fr/sciences/20071018.FIG000000016_stockage_des_deche
ts_nucleaires_explorations_autour_de_bure.html
(8) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24808/1.html
(9)
http://www.areva-np.com/scripts/info/publigen/content/templates/show.asp
?P=1655&L=DE
(10) http://www.heise.de/tp/blogs/2/108764
(11) http://193.99.144.85/tp/blogs/2/110415
(12) http://www.newspress.fr/communique_204610_137.aspx
(13) http://www.dradio.de/dlf/sendungen/europaheute/814231
(14) http://afp.google.com/article/ALeqM5iw7Raw8HO8zANzkCE-rbiM5dhFSw
(15) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28037/1.html
(16) http://www.edf.fr
(17)
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/frankreich-forciert-ge
schaeft-mit-atomkraft;2010202
(18) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26150/1.html
(19) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26910/1.html
(20) http://www.heise.de/tp/blogs/2/105730
(21) http://110751
(22) http://www.asn.fr
(23)
http://www.areva-nc.fr/scripts/areva-nc/publigen/content/templates/show.
asp?P=4041&L=EN
(24) http://www.criirad.org
(25)
http://www.sortirdunucleaire.org/index.php?menu=actualites&sousmenu=doss
iers&soussousmenu=tricastin&page=1
Telepolis Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28308/1.html
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