Süddeutsche Ztg., 05.07.2009

> RWE: Atomkraftwerk in Bulgarien
> "Gib auf! Sonst überlebst du nicht"

Ein Atomkraftwerk im Erdbebengebiet - die Pläne des RWE-Konzerns erschüttern Bulgarien. Umweltschützer wehren sich, doch sie leben gefährlich.
Von M. Balser


Ein Arbeiter auf der Atomkraft-Baustelle Belene: "Für die Energie der Zukunft." (Foto: Reuters)

Wo sie sich noch sicher fühlt? Albena Simeonova zuckt mit den Schultern. Mächtige Feinde hatte sie immer schon. Mal legte sich Bulgariens bekannteste Umweltschützerin mit Managern an, deren Papierfabrik die Donau vergiftete. Mal kämpfte sie gegen ein Chemiekombinat, dessen Schornsteine die Luft verpesteten.

Diesmal aber, weiß Simeonova, ist der Fall eine Nummer größer. "Es steht viel auf dem Spiel", sagt die 45-Jährige und blickt vom Cherkovitsa-Hügel über grüne Felder ins Donautal. Hier, im vergessenen Niemandsland auf dem Balkan, geht es plötzlich um viele Milliarden Euro, die Zukunft von Atomkonzernen und sogar um den Verdacht, die bulgarische Mafia fasse in Europas Energiesektor Fuß.
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"Niemand stoppt diesen Wahnsinn"

Zuerst riefen die Männer an, dann schickten sie Nachrichten. Schließlich standen sie vor dem Haus der alleinerziehenden Mutter bei der Kleinstadt Belene ganz im Norden Bulgariens. "Gib' den Widerstand auf, sonst überlebst du den nächsten Tag nicht", sagten Besucher in Anzügen. Mal lösen sich seither Radmuttern ihres Autos, mal folgen rätselhafte Begleiter und mal bieten bulgarische Unternehmer viel Geld fürs Einlenken.

Seit vier Jahren nun schon wacht ein breitschultriger Mann über jeden Schritt der Umweltschützerin. Simeonova braucht einen Bodyguard, weil sie nicht aufgeben will. An der Spitze von 30 Bürgerinitiativen organisiert sie den Protest gegen den Bau des Atomkraftwerks Belene in einer der aktivsten Erdbebenzonen Europas. "Hier droht ein neues Tschernobyl", fürchtet die 45-Jährige. "Und niemand stoppt diesen Wahnsinn."

Ganz im Gegenteil. Die internationale Atomwirtschaft und die bulgarische Regierung treiben das Projekt voran. "Für die Energie der Zukunft", steht in bunten kyrillischen Buchstaben am Bauzaun des streng bewachten Atomareals am Donauufer. Dahinter ein gelber Wald aus Kränen. Bagger haben tiefe Löcher in den sandigen Boden gerissen. Der Trakt für Ingenieure und Arbeiter steht schon. In ein paar Monaten soll es mit der Ruhe am Grenzfluss zu Rumänien ganz vorbei sein. Anfang 2010 könnten 6000 Arbeiter in der 9000-Einwohner-Kleinstadt beginnen, zwei strahlend weiße Kuppeln in den Himmel über Belene zu bauen, die die grauen Plattenbauten überragen.

Riskantes Projekt

Dabei gilt das Atomprojekt unter vielen Wissenschaftlern, Politikern und internationalen Umweltschützern als eines der riskantesten, das je in Europa realisiert wurde. "Die Gefahr ist für jeden spürbar", sagt Umweltschützerin Simeonova. In Panik liefen die Menschen zuletzt am 25. April aus ihren Häusern und blieben stundenlang im Freien - ein Erdstoß der Stärke 5,3 auf der Richterskala. Nichts Ungewöhnliches für die Gegend um die Atombaustelle. 111 Stöße verzeichnet der jüngste Bericht über die Erdbebentätigkeit binnen eines Jahres in der Region. An kaum einer anderen Stelle zwischen Lissabon und Moskau, Reykjavik und Istanbul, sind die seismischen Aktivitäten größer.

Im gläsernen Turm der RWE-Zentrale in Essen, zweitausend Kilometer von Belene entfernt, kann man die Aufregung nicht verstehen. Deutschlands zweitgrößter Energiekonzern will eine Milliarde Euro in den Meiler stecken und 49 Prozent an der Betreibergesellschaft halten. "Bulgarien ist ein attraktiver und schnell wachsender Zielmarkt in Osteuropa", sagt Holger Bietz.

Der 46 Jahre alte Jurist treibt als Chef eines 70-köpfigen Entwicklungsteams den Bau voran. Die Anlage könne Preise stabilisieren und für Energiesicherheit sorgen. Und die Beben? Der Bauplatz liege in seismisch aktiver Region. Das sei bekannt. Bislang aber könne RWE keine Gefahr für die Sicherheit der Anlage feststellen. Der Konzern glaubt, die Naturgewalt im Griff zu haben. Man könne ein Kernkraftwerk absichern, sagt Bietz. Die Anlage werde jedes dort mögliche Beben aushalten.

Gewaltige Kräfte

Dass sich die gewaltigen Kräfte wirklich zähmen lassen, bezweifeln Wissenschaftler allerdings. Schon einmal plante Sofia an dieser Stelle einen Atommeiler, das war in den achtziger Jahren. Nach eindringlichen Warnungen stoppte das postkommunistische Kabinett 1997 den Bau. "Mehr als 400 Atomkraftwerke sind weltweit gebaut worden, aber keines liegt in einem seismisch so komplizierten Gebiet wie Belene", schrieb die Direktorin des Zentrallabors für Geodäsie der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften im November 1994 in einer Stellungnahme, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Warum der Plan heute an gleicher Stelle Wiederauferstehung feiert, ist für Gueorgui Kastchiev, den ehemaligen Leiter der bulgarischen Atomaufsicht, ein großes Rätsel. In seinem Büro in Wien zieht Kastchiev die Augenbrauen tief in die faltige Stirn. 2004 hatte die sozialistische Regierung ein neues Prüfverfahren beschlossen und eine neue Umweltstudie in Auftrag gegeben - mit neuem Ergebnis: Das Erdbebenrisiko sei nur noch als gering einzustufen, hieß es plötzlich.

Kastchiev, ein kleiner zurückhaltender Mann, kennt das Projekt aus dem FF. Von 1997 bis 2001 war der 59-Jährige Bulgariens oberster Atomaufseher, fast sein gesamtes Berufsleben hat der Kernphysiker in den AKWs des Landes verbracht. Er war Professor in Tokio und lehrt heute am Institut für Risikoforschung der Universität Wien. "Ich bin Atom-Befürworter", sagt Kastchiev. "Belene aber ist ein Hochrisikoprojekt und muss gestoppt werden. Es sollte die Alarmglocken von RWE klingeln lassen, das die bulgarischen Behörden das Erdbebenrisiko unter den Tisch kehren."

Geringes Bebenrisiko? Stanislav Blagov kann die Entscheidung noch immer nicht fassen. Er war 14, als sich die Erde am 4. März 1977 unter Belenes Nachbarstadt Svishtov entlud - das bislang größte Beben der Region. "Es war laut. Wir liefen auf die Straße, versuchten uns festzuhalten. Danach herrschte einfach nur Stille", sagt Blagov, heute Bürgermeister von Svishtov. "Das Militär transportierte Leichen mit Lastwagen durch das Donautal", erinnert sich der 46-Jährige. Ambulanzen und Pathologen aus dem ganzen Land mussten helfen. 120 Opfer zählte das Krankenhaus der Stadt und 3000 Verletzte. Kirchen und Wohntrakte waren wie Kartenhäuser eingestürzt.

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover geht davon aus, dass es in der Gegend zu neuen Erschütterungen zwischen 7,5 und 8,5 auf der Europäischen Makroseismischen Skala kommt. Die Folgen: "Spalten im Mauerwerk und der Einsturz von Gebäuden". Zwar sei es gut möglich, dass ein Kernkraftwerk solche Erschütterungen schadlos übersteht, urteilt die Behörde. Doch bestehe auch das Risiko noch stärkerer Beben. Am Donauufer könnten sich weiche Bodenschichten dann verflüssigen, fürchten Geologen - ein Risiko, das auch den Kern der Anlage bedrohen könne: den Reaktor.

Morddrohungen statt Einsicht

Der Atomstreit spaltet inzwischen auch die Hauptstadt Sofia im Kern. Spitzenpolitiker der Opposition fordern Aufklärung und wittern einen handfesten Politskandal. In der feinen Rakovski-Straße, direkt neben dem Parlament, hat Yane Yanev sein streng bewachtes Büro. Der Chef der konservativen Partei "Gesetz, Ordnung und Gerechtigkeit", kämpft vor den Parlamentswahlen an diesem Sonntag gegen die weit verbreitete Korruption im Land und versucht seit Monaten Licht ins Dunkel der Regierungspläne für Belene zu bringen.

Doch statt der geforderten Einsicht in die Verträge zum Bau des Meilers bekommt auch Yanev plötzlich Morddrohungen. "Die Regierung behandelt die Papiere wie ein Staatsgeheimnis", klagt Yanev. Dabei werden die geplanten Ausgaben das Land jahrelang belasten. "Die Umweltprüfung war nicht objektiv, die Vergabe nicht transparent."

Auch Ex-Premier Ivan Kostov und Ex-Außenministerin Nadeschda Michailowa fordern den Stopp für Belene. "Das Ganze ist eine Farce", ärgert sich Krassen Stanchev, Chef des liberalen Wirtschaftsinstituts für Marktökonomie (IME) in Sofia. Er saß in einer Regierungskommission zur Begutachtung der Wiederbelebungspläne. "Die Umweltrisiken wurden ausgeblendet." Weder ökologisch noch ökonomisch sei der Meiler zu rechtfertigen, sagt Stanchev. "Mit den vorhandenen Kapazitäten produziert Bulgarien bereits 25 Prozent mehr Strom als es braucht." Außerdem müssten nun auch Kapazitäten für erneuerbare Ressourcen geschaffen werden, um Umweltauflagen zu erfüllen. "Wer soll all den Strom denn kaufen?"

"Wenig Ahnung"

RWE-Manager Holger Bietz sieht keinen Grund zur Aufregung: "Es gibt in Bulgarien eine breite öffentliche Zustimmung für den Bau in Belene." Woher RWE das weiß? Das hätten Meinungsforschungsinstitute im Auftrag der Investoren ermittelt, sagt Bietz. Und auch auch der bulgarische Partner NEK berichte von diesen Erfahrungen.

"RWE hat offenbar wenig Ahnung, auf was sich der Konzern hier einlässt", glaubt Parteichef Yanev. Die Korruption habe viele Bereiche der bulgarischen Wirtschaft im Griff. Längst habe die Mafia im Energiesektor Fuß gefasst und wolle offenbar auch bei Belene mitmischen. Es gebe den Verdacht, dass Gelder für den Erhalt des AKW-Zuschlags geflossen seien. Namen nennt Yanev nicht. RWE weist jeden Verdacht zurück. Nie habe der Konzern fragwürdige Zahlungen geleistet und werde es auch in Zukunft nicht tun, sagt Bietz. Drohungen gegen die Kritiker verurteile RWE.

Korruption? Petar Dulev hat davon nur gehört. Der Bürgermeister von Belene, Mitglied der sozialistischen Regierungspartei, kann den Startschuss für das AKW kaum erwarten. Er hofft auf einen Boom. "7000 Bauarbeiter müssten irgendwo essen und schlafen." In seinem Amtszimmer hängt ein Schmuckstück: Ein Ölbild des fertigen AKW. "Ein Geschenk des russischen Reaktor-Lieferanten Atomstroyexport", sagt Dulev mit verschämten Lächeln. "Als kleines Dankeschön für unsere Unterstützung."

Russische Reaktoren

Und die kann der russische Konzern sehr gut brauchen. Denn erstmals soll in Belene ein Atomkraftwerk der Europäischen Union mit russischen Reaktoren ausgestattet werden. Nie zuvor wurden die Blöcke des Typs AES 92 der Russen überhaupt irgendwo auf der Welt eingesetzt. "Auch deshalb überrascht die Sicherheitsgarantie von RWE", sagt Atomexperte Kastchiev. "Es gibt keinerlei Erfahrung mit dieser Technik. Erst recht nicht in einem Erdbebengebiet."

RWE ist längst alleine auf weiter Flur. Kein anderer westlicher Konzern hält an Belene fest. Auch die Deutsche Bank zog sich zurück. "Als weltweit tätiger Finanzdienstleister ist sich die Deutsche Bank der möglichen Auswirkungen bewusst, die ihre geschäftlichen Aktivitäten im Bezugsfeld Nachhaltigkeit haben können", erklärt sie vielsagend in einem Brief.

Im RWE-Aufsichtsrat schwant Kontrolleuren, dass der Atomausflug auf den Balkan böse enden könnte. Offiziell will sich niemand äußern, doch hinter vorgehaltener Hand warnen einige vor einem Déjà-vu. Schon einmal hat RWE einige Milliarden in seismisch aktivem Gelände investiert: Das AKW des Konzerns im erdbebengefährdeten Neuwieder Becken bei Mühlheim-Kärlich ging 1987 mit zehn Jahren Verspätung an den Start und lieferte gerade mal elf Monate Strom- im Testbetrieb. Dann stoppten Gerichte den Reaktor. Die 3,5 Milliarden Euro teure Bau muss abgerissen werden.


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