Spiegel-online, 13.10.09
> EnBW in Neckarwestheim
> Energiekonzern wollte Laufzeit von Alt-Reaktor künstlich verlängern
Von Stefan Schultz
Der Alt-Meiler Neckarwestheim I gehört eigentlich ins AKW-Museum, doch der Betreiber
EnBW sträubt sich gegen das Aus. Interne Unterlagen, die SPIEGEL ONLINE vorliegen,
zeigen wie der Konzern die Laufzeit strecken wollte - und auf eine schwarz-gelbe
Atomamnestie nach der Wahl hoffte.
Hamburg - Das Kraftwerk Neckarwestheim I (GKN I) ist der zweitälteste Atommeiler
Deutschlands. Es sorgte in den vergangenen Jahren mehrfach durch Ausfälle oder Pannen
für Schlagzeilen. Nach dem von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen
Atomausstieg sollte der Reaktor ursprünglich Mitte 2009 vom Netz gehen - so lange hätte
unter normalen Umständen die ihm zugewiesene Reststrommenge gereicht.
Doch im Kraftwerk Neckarwestheim I lief nicht alles normal. Im Herbst 2008 etwa musste
sich der Betreiberkonzern EnBW für ausgedehnte Wartungsarbeiten in dem Meiler
rechtfertigen. Denn der Stillstand bedeutete, dass der Reaktor bis Anfang 2010 am Netz
bleiben sollte. Kritiker warfen EnBW - und auch anderen Energiekonzernen - zudem vor, die
Stromproduktion zu drosseln, um die Reststrommenge für die eigenen Reaktoren zusätzlich
zu strecken.
Das ist zwar nicht verboten, das Ziel aber war den Kritikern zufolge offenkundig: Uralt-AKW
sollten ihrer Meinung nach über die Bundestagswahl 2009 hinweg gerettet werden - in der
Hoffnung, dass eine schwarz-gelbe Regierung die Laufzeiten der Meiler verlängert. Während
RWE-Chef Jürgen Großmann diesen Vorwurf in einem Interview mit dem SPIEGEL sogar
bestätigte, hatte EnBW offiziell eine klare Kommunikationslinie. Der Konzern betonte
wiederholt, die Wartungen und Produktionsdrosselungen seien "betriebsnotwendig und nicht
politisch motiviert". Einige Beispiele:
Dokumente aus dem Konzern, die SPIEGEL ONLINE nun vorliegen, legen eine andere
Sichtweise nahe: In einer Vorlage mit dem Titel "Upstream - Erzeugung Großhandelsmarkt.
Atomkonsens/Atomausstiegsgesetz" etwa wird konstatiert, dass eine "öffentliche und
politische Akzeptanz eines längeren Betriebs" der vorhandenen Kernkraftwerke in
Deutschland sich zunehmend verbessere. "Entsprechende Aussagen sind auch auf
Bundesebene sowohl seitens der CDU/CSU als auch der FDP getätigt worden". Nach den
Bundestagswahlen im Herbst 2009 könnte dies "zu einer Gesetzesänderung für längere
Laufzeiten im Atomgesetz führen". In einer grafischen Darstellung mehrerer Szenarien über
die Zukunft von GKN I wird zudem explizit die Wahl im September 2009 genannt ( siehe
Grafiken in der Fotostrecke oben).
Preis runter, Produktion runter
Einem zweiten Dokument mit dem Namen "Optimierter Betrieb GKN I in 2007" ist eine
minutiöse strategische Planung zu entnehmen, wie sich die Produktion von rund einer
Terawattstunde Strom von 2007 auf 2009 verschieben lässt: "Durch den Preisverfall für CO2
am Großhandelsmarkt (GHM) ist in 2007 eine Ausnahmesituation entstanden", heißt es
darin. "Die Strompreise für 2007 liegen deutlich unter denen für 2009." Zur Optimierung
werde vorgeschlagen, den Leistungsbetrieb "an Wochenenden und nachts" einzusenken. Die
Produktion und der Verkauf von einer Terawattstunde Strom könne so von 2007 auf 2009
verlegt werden - mit mehreren Millionen Euro Gewinn.
"Streckbetrieb" wird das Vorgehen in den Dokumenten bisweilen genannt - man könnte es
auch eine vom Unternehmen selbst verursachte Laufzeitverlängerung nennen.
Verschiedenen Kraftwerkbetreibern war in der Vergangenheit vorgeworfen worden, sich mit
Reaktordrosselungen und langen Wartungen über die Bundestagswahl retten zu wollen.
EnBW dagegen sagt, die Absenkung der Stromproduktion sei transparent - man könne sie
auf dem Branchenportal kernenergie.de einsehen (Seite 32).
Die Dokumente aus dem Konzern aber zeigen mehr: Sie machen transparent, wie präzise
EnBW die eigenen Streckmaßnahmen geplant hat - und sich dabei die Argumente für die
öffentliche Debatte zurechtlegte.
So wird an anderer Stelle auf "Risiken aus der öffentlichen Diskussion" hingewiesen. Sollte
etwa der Vorwurf entstehen, EnBW versuche die Entscheidung über den Weiterbetrieb von
GKN I in die nächste Wahlperiode zu verschieben, könne man entgegnen, es handle sich
"um eine rein wirtschaftliche Entscheidung". Da die Laufzeit von GKN I nicht an ein Datum,
sondern an eine Reststrommenge gebunden sei, könnte man in dem Kraftwerk ohnehin
"jederzeit ohne besondere Begründung" die Betriebsweise anpassen, um in die nächste
Wahlperiode zu gelangen.
Tobias Münchmeyer, politischer Vertreter bei Greenpeace, sieht in solchen Formulierungen
den Beweis, dass EnBW "die Öffentlichkeit mehr als zwei Jahre lang bewusst getäuscht hat".
Auch Grünen-Fraktions-Chefin Renate Künast kritisiert die in dem Strategiepapier
angedeutete Vorgehensweise. "Die Atomkonzerne begehen Vertragsbruch und setzen auf
eine schwarz-gelbe Generalamnestie nach der Wahl", sagt sie SPIEGEL ONLINE. "Wer den
gesellschaftlichen Ausstiegskonsens kündigt, reißt alte Gräben auf. Das muss allen klar
sein."
Beide Kraftwerksblöcke sollten bis 2017 laufen
Tatsächlich fallen einige der Dokumente in eine brisante Zeit. Auf der Vorlage "Optimierter
Betrieb" etwa steht: "Stand: 23. April 2007". Gut einen Monat davor, am 22. März 2007, hatte
die EnBW Kernkraft GmbH (EnKK) vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
gegen das Bundesumweltministerium geklagt - die Regierung verzögere aus Sicht des
Unternehmens die Übertragung einer Reststrommenge.
Am 21. Dezember 2006 hatte die EnKK beim Bundesumweltministerium die Übertragung von
46,9 Terawattstunden Reststrom vom benachbarten und wesentlich jüngeren Kernkraftwerk
GKN II auf GKN I beantragt. Mit dieser Übertragung würde sich die Betriebszeit für GKN I
rechnerisch um acht Jahre verlängern. Für GKN II würde sich durch die Abgabe der
Reststrommenge die Betriebszeit um etwa fünf Jahre verkürzen. Beide Kraftwerksblöcke
könnten damit bis zum Jahr 2017 laufen.
Das Rechtsverfahren über die Übertragung der Reststrommenge ist gegenwärtig noch
immer in der Schwebe. Doch schon die Vorlage vom 23. April 2007 wirkt wie eine
Rückversicherung für den Fall, dass EnBW mit seinem ursprünglichen Plan scheitert, die
Laufzeit von Neckarwestheim I mit einer Übertragung von Reststrommengen zu verlängern.
Spezialinformationen für einzelne Politiker
Kommunikationsstrategisch wurde der Streckbetrieb am GKN I offenbar gründlich
vorbereitet. So gibt es ein Konzept darüber, wie er kommuniziert werden soll. Von einer
Unterrichtung der Presse wird explizit abgeraten. "Zeitnah" unterrichtet werden sollten...
* ...in Baden Württemberg das Staatsministerium, Umwelt- und Wirtschaftsminister sowie
die Fraktionsvorsitzenden von CDU und FDP im Landtag.
* ...im Bund das Kanzleramt, der Bundeswirtschaftsminister, die Fraktionsspitze der Union
sowie gesondert einzelne, namentlich genannte Abgeordnete.
Die Anlage GKN I war zudem nicht die einzige, für die EnBW einen "Streckbetrieb" erwogen
hat. Den Meilern Brunsbüttel und Biblis A werden ähnliche Möglichkeiten attestiert. Würden
die potentiellen Kraftwerke "den Betrieb optimieren", hätte dies "idealtypisch abgeschätzt"
Auswirkungen auf den Strompreis von weniger als einem Euro pro Megawattstunde im
Grundlastbetrieb.
Das Unternehmen nimmt zu den Angaben in den Dokumenten nur indirekt Stellung. Auf
Anfrage von SPIEGEL ONLINE teilte es mit: "Die EnBW Energie Baden-Württemberg AG
betreibt alle ihre Kraftwerke stets nach betriebswirtschaftlichen Regeln. Dieses allein schon
deshalb, weil der Energiemarkt ein Wettbewerbsmarkt ist. Die Kernkraftwerke der EnBW -
und damit auch GKN I - machen dabei keine Ausnahme. Wahltaktische Erwägungen spielen
bei dieser betriebswirtschaftlich optimierten Einsatzplanung keine Rolle."
* http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,651156,00.html