Stuttgarter Zeitung, 09.01.10

> Neckarwestheim und Philippsburg
> Rekord bei Atompannen

Heiß umkämpft: der Meiler Neckarwestheim, hier bei einer Protestaktion Foto: dpa

Stuttgart - Der Countdown für das Kernkraftwerk Neckarwestheim I läuft. Rund 100 Tage
sind es bei der gegenwärtigen Stromproduktion schätzungsweise noch. Dann, irgendwann im
Frühjahr, wird die Reststrommenge des Reaktorblocks erschöpft sein. Nach dem derzeit
geltenden Atomgesetz würde die Betriebserlaubnis des 1976 ans Netz gegangenen Meiler
dann automatisch erlöschen.

"Rolle rückwärts zu einer neuen Rechtsposition"
Franz Untersteller (Grüne) über eine Laufzeitverlängderung

Grundsätzlich will die Energie Baden-Württemberg (EnBW) als Betreiber das ebenso
verhindern wie die neue schwarz-gelbe Koalition in Berlin. Doch erst für den Herbst haben
die Bundesregierung und Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) ihr Energiekonzept
angekündigt - zu spät für Neckarwestheim. Auf Hochtouren laufen derzeit hinter den Kulissen
die Gespräche darüber, wie das Kernkraftwerk gerettet werden kann. Offiziell geben die
EnBW und die Politik dazu keine Auskünfte.

Der einzig gangbare Weg scheint jedoch eine Strommengenübertragung von einem jüngeren
Reaktor - so wie der Betreiber sie schon einmal, nämlich von Neckarwestheim II, beantragt
hat. Nach der Ablehnung des früheren SPD-Bundesumweltministers Sigmar Gabriel liegt die
Sache derzeit beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim. Offen ist nun, ob der Ausgang des
Rechtsstreits abgewartet wird oder ob die EnBW ihren Antrag - gleich, ähnlich oder anders -
neu stellt. Nach dem Regierungswechsel, so die Erwartung, müsste er diesmal genehmigt
werden.

Vor diesem Hintergrund sind zwei Störfallbilanzen brisant, die die Grünen in Bundestag und
Landtag jetzt öffentlich gemacht haben. In einer Statistik des Bundesamtes für
Strahlenschutz, die der Landtagsabgeordnete Franz Untersteller aufgriff, geht es um die Zahl
der meldepflichtigen Ereignisse. Dabei liegt Neckarwestheim I auf Platz zwei hinter dem
Reaktor Brunsbüttel, der nach schweren Pannen seit längerem abgeschaltet ist. Seit der
Inbetriebnahme gab es dort 419 meldepflichtige Ereignisse, was einer Jahresrate von 13
entspricht - nur übertroffen von den 14 in Brunsbüttel. Zum Vergleich: der jüngere Block zwei
kommt auf vier pro Jahr.

Weniger Störfälle in den vergangenen Jahren

In der zweiten Übersicht, die die Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl vom
Bundesumweltministerium bekam, sind die meldepflichtigen Reaktorschnellabschaltungen
aufgelistet. Mit jeweils 39 liegen die beiden EnBW-Altmeiler Neckarwestheim I und
Philippsburg I absolut an der Spitze, aufs Jahr umgelegt führen sie mit 1,3 (Philippsburg) und
1,2 (Neckarwestheim) Schnellabschaltungen ebenfalls. Diese Störfallbilanzen und das
erheblich niedrigere Sicherheitsniveau sprächen "gegen eine Laufzeitverlängerung" der
beiden Altreaktoren, folgert Untersteller.

Die EnBW, die stets das "hohe Sicherheitsniveau" von Neckarwestheim betont hat, sieht das
anders. Zwischen der Anzahl meldepflichtiger Ereignisse und der Sicherheit und
Zuverlässigkeit gebe es "keinen direkten Zusammenhang", teilte das Unternehmen mit. Mehr
als die Hälfte der Meldungen stammten aus den ersten zehn Betriebsjahren von Block eins.
Seither sei die Tendenz fallend, die Meldungen hätten sich "auf einem sehr niedrigen Niveau
eingependelt". Darin spiegelten sich "ganz klar die hohen Investitionen" in die Anlage wieder,
betonte die EnBW.

Auch das für die Atomaufsicht zuständige Stuttgarter Umweltministerium verwies darauf, in
den vergangenen zehn Jahren liege die Zahl der meldepflichtigen Ereignisse in
Neckarwestheim I im Bundesdurchschnitt. Zudem sei der Unterschied zu anderen Reaktoren
in Bezug auf die Gesamtlaufzeit "nicht gravierend". Auch bei den
Reaktorschnellabschaltungen lägen die beiden Altreaktoren "international im unteren
Bereich". In der Zeit zwischen 2000 und 2007 sei es in Neckarwestheim nur viermal dazu
gekommen. Die automatische Abschaltung alleine sage zudem noch nichts darüber aus, wie
schwerwiegend die Ursache sei, sagte ein Sprecher.

Der Grüne Untersteller sieht trotzdem keine Möglichkeit, eine Strommengenübertragung auf
den Altreaktor zu genehmigen. Er verweist auf den Ablehnungsbescheid aus dem Hause
Gabriel, nach dem vor allem Ereignisse, die mit der Alterung zu tun haben, dort besonders
häufig vorkommen; gleiches gelte für Fehler bei Sicherheitseinrichtungen oder der
Stromversorgung. Eine "Rolle rückwärts zu einer neuen Rechtsposition" lasse sich sicher
nicht damit begründen, dass die Hausspitze der obersten Atomaufsicht gewechselt habe.

Andreas Müller, veröffentlicht am 09.01.2010




*****
Aktionsbuendnis CASTOR-Widerstand Neckarwestheim
Info-tel 07141 / 903363
http://neckarwestheim.antiatom.net



x ------------ X -----------
x mailinglist des
x Aktionsbuendnis CASTOR-Widerstand Neckarwestheim
x http://neckarwestheim.antiatom.net
x aus-/eintragen: Mail an: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
x ohne Subject, im Text: un-/subscribe abc