Stuttgarter Zeitung, 15.06.10

> Rätsel um russisches Uran lassen EnBW kalt

Kernkraft - Landet wiederaufgearbeitetes Uran aus dem Westen in Reaktoren vom Typ
Tschernobyl?
Während ein Schweizer Atomkonzern infolge einer Greenpeace-Studie nachbohrt, will man
es im Südwesten gar nicht so genau wissen. Von Andreas Müller und Wolfgang Messner

Zwischentitel: Greenpeace-Studie entfacht Debatte über Geschäfte mit Russland.

Der Verdacht ließe sich mit einem einzigen Wort ausräumen. Kann die EnBW ausschließen,
dass wiederaufbereitetes Uran aus ihren Kernkraftwerken in Russland zu Brennstoff für
Atommeiler vom Typ Tschernobyl verarbeitet wird? Dass sie also zumindest indirekt den
Weiterbetrieb der umstrittenen Reaktoren fördert, die der Westen wegen ihrer
Sicherheilsdefizite am liebsten abgeschaltet sähe? Ein Ja würde genügen, doch eine
entsprechende StZ-Anfrage konnte oder wollte der Karlsruher Konzern so nicht beantworten.
Stattdessen vervies er auf die Anlage zu einer Studie der Umweltorganisation Greenpeace.
Ein dort wiedergegebenes Schreiben der russischen Staatsgesellschaft für Atomenergie
(Rosatom) versteht er so, dass "kein westeuropäisches Wiederaufbereitungsuran" in den
sogenannten RBMK-Reaktoren lande.

Ob der übersetzte Text wirklich diesen Schluss zulässt, sei einmal dahingestellt. Die Studie
von Greenpeace Schweiz über das "Recycling von Wiederaubereitungsuran", die im
Nachbarland erheblichen Wirbel ausgelöst hat, kommt jedenfal|s just zum gegenteiligen
Ergebnis. Darin werden genau jene Geschäfte mit Russland untersucht, die bei der EnBW
nach Sonderabschreibungen von mehr als 100 Millionen Euro ins Zwielicht geraten sind
(siehe StZ vom 21. Mai) Gegenstand sind zwar in erster Linie die "undurchschaubaren und
intransparenten" Verbindungen zwischen der eidgenössischen Atomindustrie und russischen
Brennstoffproduzenten. Aber seine auch auf Informationen der Internationalen
Atomenergieagentur (IAEA) gestützten Erkenntnisse, sagt der Autor Stefan Füglister, gälten
für die westeuropäischen Reaktorbetreiber insgesamt.

Im Fall der Schweizer Unternehmen wie der EnBW geht es um Uran aus verbrauchten
Brennelementen, das nach der Wiederaufarbeitung in La Hague oder Sellafield nach
Russland gelangt. Dort, in einer Fabrik in Elektrostal bei Moskau, wird es mit höher
angereichertem Uran aus militärischen Beständen vermischt (Experten sprechen von
"Blenden") und als neuer Brennstoff zurückgeliefert. In beiden Fällen laufen die Geschäfte
über den gleichen Vertragspartner, den französischen Atomkonzern Areva, auch die Akteure
auf russischer Seite sind die Gleichen.

Aus welchen Quellen, das war einer der Ansätze der Greenpeace-Studie,stammt das
russische Uran genau? Zum Teil aus der Abrüstung von Atomwaffen, hatte der Schweizer
Kernkraftwerksbetreiber Axpo behauptet und damit seine Umweltbilanz für den Reaktor
Beznau geschmückt.

Hochgefährliche Sprengköpfe dienen der friedlichen Stromproduktion - eine schöne Variante
der Devise Schwerter zu Pflugscharen. Indes, sie stimmte nicht. Das Recycling von
Atombomben sei "eine Mär", fand Füglister heraus,es werde vor allem Uran aus
Antriebsreaktoren von U-Booten oder Eisbrechern verwendet. Die Kraftwerksbetreiber
würden über die Herkunft bewusst im Unklaren gelassen.

Axpo fragte daraufhin bei der Lieferfirma nach und bekam die Greenpeace-Angaben
bestätigt. Das angereicherte Uran, korrigierte sich der Atomkonzern, komme zwar "teilweise
aus militärischen Quellen, aber nicht aus der Abrüstung von russischen Kernwaffen". Auch
EnBW hatte und hat offenbar keine gesicherte Erkenntnis über die Herkunft. "In welchem
Umfang Waffenuran beim Blenden verwendet wurde, ist aus den Verträgen nicht ersichtlich -
und uns daher nicht bekannt", anwortete das Unternehmen auf StZ-Anfrage. "Grundsätzlich"
stamme höher angereichertes Uran aus dem militärischen Bereich, wo es etwa in
Sehiffsantrieben genutzt werde. Konkreteres wissen die Karlsruher offenbar nicht - und
wollen es womöglich gar nicht wissen. Auf die Frage, ob man sich nach Schweizer Vorbild
mehr Transparenz wünsche. gab es keine Auskunft. Auch die Greenpeace-Erkenntnisse
über die Verwendung von westeuropäischem Uran in Reaktoren vom Typ Tschernobyl wollte
EnBW nicht weiter kommentieren. Frei nach dem Motto: "Was ich nicht weiß, macht mich
nicht heiß"?

Die Geschäfte mit Russland, recherchierte Füglister anhand von IAEA-Angaben, seien eine
Art Tauschhandel. Mit dem angereicherten Uran bekämen die westeuropäischen
Atomkonzerne genau so viele spaltbare U-235-Anteile zurück, wie sie angeliefert hätten.
Gewichtsmäßig entspreche dies etwa einem Fünftel des Ausgangsmaterials, vier Fünftel
verblieben in Russland. In der gleichen Fabrik in Elektrostal werde daraus Brennstoff für
RBMK-Reaktoren hergestellt - und so der knapp gewordene Vorrat an Natururan geschont.

Auf Greenpeace-Nachfrage erläuterte die Staatsgesellschaft Rosatom, dass
westeuropäisches und russisches Uran zwar in der gleichen Anlage, aber zeitlich getrennt
verarbeitet würden. Doch anders als die EnBW leitet Axpo daraus nicht den Schluss ab, dass
kein Uran aus dem Westen in Atommeilern vom Typ Tschernobyl landet. Die Recherchen
der Schweizer ergaben vielmehr, dass das in Russland verbleibende Material "auch in
russischen RMBK-Reaktoren eingesetzt werden kann. Derzeit laufen bei Axpo weitere
gründliche Untersuchungen, "um die Plausibilität der Angaben über Spaltstoffflüsse zu
überprüfen".

Ein Atomkonzern muss sich in zwei zentralen Punkten von Greenpeace auf die Sprünge
helfen lassen - kein Wunder, dass in der Schweiz eine lebhafte Debatte über die
Urangeschäfte mit Russ|and entbrannt ist. Mit mehreren parlamentarischen Anträgen, in
denen mehr Transparenz verlangt wird, hat sie inzwischen auch den Ständerat und den
Nationalrat erreicht. Im benachbarten Baden-Württemberg sieht sich die Landesregierung
indes nicht gefordert, mehr Licht in die Dunkelzone zu bringen. Für die Atomaufsicht sei
relevant, dass bei Brennelementen die Sicherheitsanforderungen erfüllt würden, sagt ein
Sprecher von Umweltministerin Tanja Gönner (CDU).

Zugleich verweist er auf das internationale Spaltstoffkontrol|system, das militärische
Materialien freilich nur bedingt erfasst. Im Übrigen, sagte der Sprecher, sei Uran eben "eine
Handelsware" - wenn auch "eine besondere".

Bildunterschrift: Das Kernkraftwerk Neckarwestheim: in beiden Reaktorblöcken werden laut
Atomaufsicht und EnBW auch Brennelemente aus russischer Herstellung verwendet. Foto:
Steinert


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