[ Siehe auch zu diesem Thema: Atomkraftwerke im "Blindflug"
Sicherheitsdefizit: Keine Materialproben mehr in Neckarwestheimer Atomkraftwerk
http://snipurl.com/y7ai2 ]
Stuttgarter Zeitung, 28.07.10
> Grüne wollen Klarheit über Atomkessel
> Kernkraft: Beim Rückbau des AKW Obrigheim fordern die Grünen eine Prüfung des
Druckbehälters.
Von Andreas Müller
Der Streit liegt rund zwei Jahrzehnte zurück, ist aber immer noch nicht abschließend geklärt.
Heftig wurde in den neunziger Jahren in der Landespolitik um das Kernkraftwerk Obrigheim
gerungen. Vor allem eine Frage entzweite damals die Kritiker und die Verteidiger des
ältesten deutschen Atommeilers: Wie ist es um die Beschaffenheit des
Reaktordruckbehälters bestellt? War der Stahlkessel samt den Schweißnähten unter der
ständigen Bestrahlung mürbe geworden, oder genügte er den Anforderungen an die
sogenannte Sprödbruchsicherheit?
Der damalige SPD-Umweltminister Harald Schäfer betrachtete den entsprechenden
Nachweis als erbracht, als er dem Altmeiler nach mehr als zwanzigjährigem Probebelauf die
Dauerbetriebsgenehmigung erteilte. Da man den Druckbehälter naturgemäß nicht selbst
untersuchen konnte, stützte er sich auf sogenannte Einhängeproben. Doch unter den
Experten - und in der Folge auch den Politikern - blieb bis zuletzt umstritten, wie
repräsentativ die Proben für das Schweißgut der kernnahen Rundnaht wirklich seien. Sowohl
hinzugezogene Gutachter als auch ein Beamter der Atomaufsicht im Umweltministerium
hegten bis zuletzt Zweifel daran.
Die Schlacht um Obrigheim ist längst geschlagen, im Zuge des Atomausstiegs wurde der
Reaktor vor fünf Jahren stillgelegt. Nun aber kommt die Versprödung des
Reaktordruckbehälters wieder auf die Tagesordnung der Landespolitik. Der derzeit laufende
Rückbau der Anlage, meint der Grünen-Abgeordnete und Fraktionsvize Franz Untersteller in
einem Parlamentsantrag, biete eine "einmalige Chance": An den einzelnen Komponenten
könne man nun direkt feststellen, wie stark sie durch die Dauerbestrahlung versprödet
waren.
Untersteller, zu Zeiten des Obrigheim-Untersuchungsausschusses s parlamentarischer
Berater, geht es "nicht etwa um nachträgliche Rechthaberei". Die Untersuchung des
Materials und der Vergleich mit den Gutachterprognosen könne wichtige Erkenntnisse für
andere ältere Reaktoren liefern, glaubt er. Die tatsächliche Versprödung könne für die
sicherheitstechnische Beurteilung dieser Anlagen "von zentraler Bedeutung" sein. In seinem
Antrag fordert er daher Auskunft, inwieweit der Betreiber, der Stromkonzern EnBW, oder die
Atomaufsicht die nachträgliche Gelegenheit nutzen wollen. Abwegig ist die Idee des Grünen
keineswegs. "Die EnBW hat diese Frage eingehend überprüft", teilte das Unternehmen der
StZ mit. Allerdings plane man "zum jetzigen Zeitpunkt keine entsprechende Untersuchung".
Darüber müsse derzeit auch nicht entschieden werden, denn diese beim Rückbau ohnehin
"erst in einigen Jahren" möglich.
Von der Prüfung erwarte man sich zudem "keine relevanten Erkenntnisse" für die in
Deutschland laufenden Kernkraftwerke, fügte der Karlsruher Konzern hinzu. Deren
Reaktordruckbehälter unterschieden sich in Materialbeschaffenheit und Fertigung stark von
dem in Obrigheim. Untersteller erhofft Erkenntnisse jedoch nicht nur für deutsche, sondern
auch für ausländische Atommeiler.
Auch die Atomaufseher von Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) reagieren reserviert. Von
einer solchen Untersuchung erwarte man sich "keine zusätzlichen Erkenntnisse", sagt ein
Sprecher. Die Ergebnisse wären auf andere Anlagen "wohl nicht übertragbar". Das System
der Einhängeproben gebe es inzwischen in allen Reaktoren. Es habe sich bewährt, um
etwaige Veränderungen festzustellen, und genüge den internationalen Standards.
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