Stuttgarter Zeitung, 12.07.2010

> Um mehr Rotoren wird gerungen
> Energie - Das Wirtschaftsministerium möchte die Windkraft stärken, das
Umweltministerium ist eher zögerlich.

Von Andrea Koch-Widmann

Derzeit werden in der Landesregierung die Weichen gestellt, um den Ausbau der
Windenergie zu stärken. Noch vor der Sommerpause will der Wirtschaftsminister Ernst
Pfister (FDP) mit einer entsprechenden Vorlage ins Kabinett. Das Landesplanungsgesetz
ändern, wie es die SPD fordert, will er aber nicht. Vier zentrale Forderungen der
Regionalverbände hat Ernst Pfister bereits erfüllt oder er arbeitet daran.

Die Regionalverbände, die alle - außer Nordschwarzwald und Neckar-Alb - einen gültigen
Regionalplan für den Wind haben, waren ihrerseits von der Kehrtwendung der CDU-FDP-
Regierung Anfang des Jahres überrascht worden. Jahrelang war die Windenergie verteufelt
und die Verspargelung der Landschaft moniert worden.

Es gebe bereits per Weisung an die Regierungspräsidien und Landratsämter "administrative
Lockerungen", ist zu hören. Sogenannte Zielabweichungsverfahren für Windkraftanlagen, die
außerhalb, aber nahe an Vorranggebieten liegen, sind nun möglich. Bisher durften Rotoren
nur in solchen Vorranggebieten errichtet werden, alle anderen Flächen waren
Ausschlussgebiete. Auch das Repowering, also das Ersetzen älterer Windkraftanlagen, die
vor dieser Regelung gebaut wurden und außerhalb der Vorranggebiete liegen, können nun
im Einzelfall durch leistungsstärkere und auch höhere Anlagen ersetzt werden.

Drittens erhalten die Regionalverbände vermutlich noch im Herbst mit einem landesweiten
Windatlas eine verlässliche Datenbasis über Windstärken und somit wirtschaftlich
interessante Standorte. Noch in dieser Woche soll der Auftrag dafür vergeben werden.
Bisher hatten sich die Regionalverbände bei der Planung für die Vorranggebiete mit
Winddaten des Deutschen Wetterdienstes beholfen, die in zehn Meter Höhe für
meteorologische Messungen erhoben wurden, und dann hochgerechnet.

Bei ihrem vierten Anliegen erhoffen sich die Regionalverbände klare Hinweise darauf, wie sie
bei der Planung "entgegenstehende Kriterien" abarbeiten sollen. Hintergrund dieser
Forderung ist das bisherige Verfahren in den verschiedenen beteiligten Behörden. Dort
waren, entsprechend der politischen Wetterlage, die Gesetze und Vorschriften recht restriktiv
ausgelegt worden. Da sich nun sozusagen der Wind gedreht hat und der Ausbau der
Windenergie forciert werden soll, die Gesetzeslage aber unverändert ist, ist der Wunsch
groß nach ministerieller Handreichung. Ein Ergebnis gibt es noch nicht.

Beflügelt werden all diese Aktivitäten wohl von der Erkenntnis der Landesregierung, dass die
selbst gesteckten Ziele des Energiekonzepts 2020 ohne "eine signifikante Steigerung des
Windstrombeitrags" nicht möglich sind. Das hatte ein Gutachten ergeben. Darin wurde auch
die fortwährende Kritik der Grünen und der Windstrombranche unterstützt. Diese hatten stets
moniert, dass bisher die Regionalverbände häufig windärmere Standorte als Vorranggebiete
auswiesen, wo die Anlagen nicht wirtschaftlich betrieben werden könnten. Das machte das
Gutachten daran fest, dass es zwar Standorte für rund 250 Anlagen gebe, jedoch wenig
Ausbautätigkeit und Investoreninteresse.

Zudem hatte erst vor wenigen Wochen das Verwaltungsgericht Stuttgart den Regionalplan
des Verbandes Heilbronn-Franken für nichtig erklärt, weil zu wenig Vorranggebiete für
Windräder ausgewiesen wurden. Der Verband hat inzwischen Berufung eingelegt und zieht
vor den Verwal-tungsgerichtshof Mannheim, da nach seinen Berechnungen fast jede dritte
Windkraftanlage des Landes im Verbandsgebiet stehe, das Gebiet aber nur einen Anteil von
13 Prozent an der Landesfläche habe.

Der Wirtschaftsminister indes zeigte sich jüngst beim zweiten Windbranchentag in Stuttgart
"nicht unglücklich" über dieses Urteil. Denn es habe gezeigt, "dass die Regionalverbände
eine Verpflichtung in Sachen Windkraft haben". Das Gericht habe die Planung in Heilbronn-
Franken für nichtig gehalten, weil der Windkraft "nicht im gebotenen Umfang Raum
geschaffen worden sei, und zwar in nicht immer schlüssiger Weise". Dies gebe Anlass, die
"Planungen bezüglich der Ausschöpfung des Planungsspielraums zugunsten der Windkraft
zu stärken", erläuterte Pfister. Das für den Forst zuständige Agrarministerium jedenfalls wolle
Planungen innerhalb von Vorranggebieten begleiten "mit dem Ziel, dass diese realisiert
werden können", lässt Minister Rudolf Köberle (CDU) mitteilen. Die Erreichung der Ziele im
Energiekonzept 2020 habe "natür-lich Einfluss auf das Handeln der Regierung".

Schwer tut man sich offensichtlich im Haus der Umweltministerin Tanja Gönner (CDU).
Diese setzt sich seit langem für den Ausbau der erneuerbaren Energien ein. Allerdings ist sie
jetzt auch für den Naturschutz zuständig. Und in der Vergangenheit hatte insbesondere der
amtliche Naturschutz bei den Windrädern eine ausgesprochen restriktive Haltung - im
Gegensatz etwa zu Bebauungsplänen oder zum Straßenbau. Bei diesen Plänen, so hatten
jüngst der Bund für Umwelt und Naturschutz und die Grünen im Landtag kritisiert, werde das
Naturschutzrecht nur mangel-haft berücksichtigt.

Grundsätzlich unterstütze sie die Planungen des Wirtschaftministeriums, den Ausbau der
Windkraft voranzubringen, erklärt Tanja Gönner auf Anfrage. Einen Freibrief will sie der
Windkraft aber nicht ausstellen. Es dürfe allerdings auch nicht sein, dass unter dem
Deckmantel des Naturschutzes eine Verhinderungspolitik betrieben werde, sagte Gönner
gegenüber der Stuttgarter Zeitung. "Man wird im Einzelfall sorgfältig prüfen müssen, was
unter Naturschutzgesichtspunkten noch möglich ist und nicht umgekehrt." Der
fortschreitende Klimawandel werde schließlich gravierende Auswirkungen auf die
Ökosysteme und die biologische Vielfalt haben, erklärte sie. "Klimaschutz leistet so auf
längere Sicht auch einen Beitrag zum Erhalt unserer Natur und unserer Kulturlandschaften.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist deshalb ein entscheidender Faktor."

> Rheinland-Pfalz ist bei der Windkraft vorne

Südwesten
Mehrfach hat der Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) betont, den Ausbau der Windkraft
im Land zu stärken. Im gleichen Atemzug allerdings weist er stets auf die besseren
Windverhältnisse auf dem Meer hin. "Baden-Württemberg liegt nicht an der Nordsee", heißt
sein Standardsatz, mit dem er den Offshoreanlagen den Vorzug gibt.

Rheinland-Pfalz
liegt auch nicht an der Nordsee, kontert nun das Nachbarland, das flächenmäßig gerade mal
halb so groß wie Baden-Württemberg ist. Beim zweiten Windbranchentag in Stuttgart
erläuterte der Vertreter des rheinland-pfälzischen Umweltministeriums, Professor Karl Keilen,
vor kurzem, die Strategien des "erfolgreichsten Binnenbundeslandes für die Windkraft".

Information
"Windkraft ist die leistungsfähigste und kostengünstigste erneuerbare Energie." Darauf
macht das Nachbarland mit dessen größtem Stromversorger RWE aufmerksam. Zum
Thema Off-shore ist die Linie klar: "Die Kilowattstunde Offshorewindstrom ist in der
Anfangsvergütung um 63 Prozent teurer als Binnenwindstrom", die deutlich höheren
Netzausbaukosten noch gar nicht mitgerechnet. "Im Hinblick auf die Strompreise und die
regionale Wertschöpfung wollen wir deshalb den Anteil Binnen-Windkraft maximieren."
Schließlich ist die Windkraft, so der Professor, 720-mal flächeneffizienter als Bioenergie, 45-
mal effizienter als Solar.

Vergleich
Baden-Württemberg hat (bezogen auf Ende 2009) 360 Windkraftanlagen, Rheinland-Pfalz
1021. Die installierte Leistung liegt im Südwesten bei 451,78 Megawatt, in Rheinland-Pfalz
bei 1300,98 MW. Der Anteil der Windkraft am Bruttostromverbrauch liegt in Baden-
Württemberg bei 0,71 Prozent, in Rheinland-Pfalz bei 6,5 Prozent.


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