Aktueller Stand und weitere Planungen zur Energiewende in Deutschland
Energiewende Alarm?

b_215_215_16777215_0_0_images_Windrad_1.jpgNewsletter des Aktionsbündnis CASTOR-Widerstand Neckarwestheim
25. Juli 2024

Liebe Atomkraftgegner*innen, liebe Energiewender*innen,
die energiepolitische Diskussion in diesem Jahr - gerade auch im Vorfeld der Europa- und Kommunalwahlen - war aus unserer Sicht eine Fahrt mit der Geisterbahn. Der Klimaschutz und die rasche Umsetzung der weiteren Energiewende zum Erreichen der Klimaziele bis 2030 waren überhaupt kein Thema mehr. Trotz der Überschwemmungen, den Hitzerekorden und Wetterkapriolen in Deutschland und ganz Europa.
Die Ampel-Regierung hat mit dem neuen Klimagesetz eine Rolle rückwärts hingelegt, die CDU/CSU will zusammen mit der FDP das Verbrenner-Verbot 2035 kippen und hat Atom-Fantasien.
Und mit den Themen Flüssiggas und Wasserstoff werden real wieder die fossilen Energien in den Mittelpunkt gestellt und mit Milliarden gefördert. Es sollen sogar noch neue große zentrale Strukturen entstehen, betrieben von den fossilen Konzernen. Dies soll mit jahrzehntelangen Lieferverträgen von Gas und Öl geschehen, gefördert und unterstützt von der Bundesregierung.

Doch zuerst einmal die aktuellen Fakten. Das Jahr 2024 hat Halbzeit und es gibt die Zubau-Zahlen Wind und Photovoltaik für diesen Zeitraum:

Thema Photovoltaik:
Hier fand auch in diesem Jahr noch ein guter Ausbau statt. Denn dies ist die Energieform, die am wenigsten ausgebremst werden kann und von vielen Akteuren (Privatpersonen, Solarvereinen, Kommunen, Firmen) praktisch rasch umgesetzt werden kann.
Es wurden in den ersten 6 Monaten neue PV-Anlagen mit einer Leistung von 7430 Megawatt (MW) errichtet. Allerdings lag der Zubau im Mai und Juni unter dem von 2023. Das jährliche Ziel von 9-10 GW wird jedoch sicher erreicht werden. Stand Ende 2023 gab es insgesamt eine Leistung von 81.000 MW, bis 2035 soll ein Ausbau auf 400.000 MW erfolgen.

Thema Wind:
Die Zubau-Zahlen beim Wind wurden mit der Einführung des Ausschreibungszwangs im Jahr 2017 und den geänderten Vergütungssystemen abgeschossen. Deshalb gab es über die Folgejahre so gut wie keine neuen Energiewende-Anlagen durch Wind und PV mehr. Dabei ist Wind an Land neben der PV der wichtigste Part für eine rasche und erfolgreiche Energiewende. Auch die Ampel-Regierung hält an diesem Ausschreibungszwang über die Bundesnetzagentur in einem bürokratischen Verfahren fest. Sie hat nur Ausnahmen im kleinen Umfang für Bürger-Genossenschaften beschlossen.

Die Folge ist, dass die für die Energiewende notwendigen Windräder bis heute ausgebremst und nicht gebaut werden! Das Haupthindernis neben dem Ausschreibungszwang sind fehlende ausgewiesene und geeignete Flächen und die Genehmigungsbürokratie.

Hier die aktuellen Fakten zur Windenergie:
In den ersten 6 Monaten wurden in Deutschland bundesweit 250 neue Windräder errichtet, jedoch 277 ältere Anlagen abgebaut! Es fand somit nur durch die leistungsstärkeren neuen Windräder ein Zubau von 929 Megawatt statt.
Das Thema Repowering, also neue Windräder auf den alten Flächen, wird nach wie vor erschwert.

In Baden-Württemberg ist die Situation Wind seit langem absolut katastrophal. Trotz seit 2011 grün geführten Landesregierungen ist das Ländle nach wie vor das bundesweite Schlusslicht bei den Flächenländern. Im ersten Halbjahr wurde der Negativtrend noch getoppt, indem nur 2 neue Anlagen ans Netzt gingen.
Im Koalitionsvertrag von 2021 stand das Ziel 1000 neue Windräder zu bauen. Das wurde rasch gekippt und als neue Messlatte jährlich 100 neue Windräder ausgegeben. Und nun? Seit 2021 wurden in Baden-Württemberg gerade mal 51 neue Windräder ans Netz genommen!

Um das Ziel 80% an Erneuerbaren bis 2030 zu erreichen, ist beim Wind an Land ein Zubau von jährlich mindestens 10.000 MW notwendig, um von heute 61.000 MW Leistung auf 115.00 MW und 150.000 bis 2035 zu kommen.
Im Jahr 2022 waren es aber gerade mal 2700 MW, in 2023 dann auch nur 3600 MW Zubau.
Und auch in 2024 und den Folgejahren werden aus heutiger Sicht diese notwendigen Ausbauzahlen ganz sicher nicht erreicht werden.

Wind off-Shore wird favorisiert – Nordsee als neuer Industriepark bis 2045?
Die Errichtung von Windparks in der Nordsee war und ist finanziell eine Milliarden-Investition und schon immer eine Umweltgefährdung. Damit diese überhaupt in Gang kam, wurden von früheren Bundesregierungen bereits „Förderungen“ beschlossen, unter anderem auch, dass die hohen Anschlusskosten der Windparks durch den zuständigen Netzbetreiber Tennet auf die Verbraucher umgelegt werden können.
Die bisherigen Windparks wurden wegen den Milliarden zur Errichtung nur von Konzernen, bzw. Invest-Anlegern realisiert. Sie setzen eine zentrale Struktur mit einem hohen technischen Aufwand voraus. Wurden bisher Windparks von 30 – 50 Windrädern mit einer Leistung von je 5-8 MW gebaut, sind es aktuell je 11 MW-Anlagen und bis zu 100 Windräder, die Stahlröhren dabei 30-45m im Meeresgrund und die Rotornabe 100 m hoch. Dazu kommt, dass dies in den nächsten Jahren dann mit neuen „technischen Inseln“ zur Wasserstoffproduktion erweitert werden soll.

Für off-Shore Windparks gab es eine Änderung für, indem dort jetzt die Flächen ausgeschrieben und so die Nutzungsrecht erworben werden können. Dies hat dazu geführt, dass  ausgerechnet die 4 größten Flächen in 2023 für 12.6 Milliarden Euro an die Energiekonzerne Total und BP gingen. Es gab viel mehr Anbieter, die jedoch diesen Preis nicht bezahlen konnten. Es besteht der begründete Verdacht, dass die beiden Konzerne die Flächen gekauft haben um Greenwashing zu betreiben und Einfluss auf die Energiewende zu nehmen.

Wasserstoff und off-Shore-Windanlagen beruhen auf zentralen großen Erzeugungs- und Verteilstrukturen
Es gibt Projekte zur Produktion von Wasserstoff in der Nordsee, an welchen bis zu 70 Konzerne beteiligt werden, welche dann auch neue Windparks bis 2030 errichten sollen.
Die Bundesregierung wiederum hat den Wasserstoff mit zum wichtigsten Baustein der Energiewende erklärt und fördert die Projekte mit bis zu 40 Milliarden Euro.

Gibt es einen Strategiewechsel beim Thema Energiewende und wird diese (bewusst) zu Gunsten einer längeren Nutzung der Fossilen an die Wand gefahren?
Nach Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine war die Energieversorgung aufgrund der Abhängigkeit bei Gas und Öl aus Russland ein Problem. Anstatt jedoch erst Recht die technisch schon längst mögliche rasche weitere Energiewende zu beschleunigen und beim Thema Strom und Wärme auf Erneuerbare zu setzten, gab es einen Kurswechsel hin zum weltweiten Bezug von Flüssiggas. Mit Milliarden Subventionen sollen 12 Gasterminals realisiert werden. Dies würde die bisherige Kapazität der Lieferung von Gas aus Russland weit übertreffen.

Fossile – wie lange noch?
Die Wasserstoffpläne der Bundesregierung und anderer europäischer Regierungen lassen sich mit „grünem Wasserstoff“, also mit erneuerbaren Energien erzeugt, überhaupt nicht realisieren. Deshalb soll als „Übergang“ Wasserstoff auch aus Fossilen und Atom in Europa hergestellt, bzw. weltweit bezogen werden.

Es wird jedoch nicht möglich sein, die heutige umwelt- und gesundheitsschädliche Produktion komplett auf Wasserstoff umzustellen. Dies wäre auch der falsche Weg und würde die heutigen Klimaprobleme noch weiter verschärfen (Rohstoffe, Produktion, Müll, Umweltschäden). Stattdessen muss thematisiert werden, welche Produkte und welche Produktionsweisen gesellschaftlich notwendig und nützlich für die Menschen sind.
Die Herstellung von Wasserstoff benötigt viel Strom und auch viel Wasser. Für 1 kg Wasserstoff werden mindestens 9 Liter Wasser benötigt und je nach Elektrolyseanlage zwischen 40 - 80 KWh Strom!
Der Wirkungsgrad bei der Elektrolyse liegt bei 60 – 70%.

Der Transport von Wasserstoff über große Entfernungen führt wegen den vielen Umwandlungsverlusten dazu, dass nur noch ein Viertel der ursprünglichen Energie zur Verfügung steht.

Wasserstoff und notwendige Umwandlungsschritte:

  • sehr hoher Strom- und Wasserbedarf
  • wegen den Umwandlungsverlusten muss viel mehr an erneuerbarer Energie erzeugt werden als bei direkter Nutzung derselben
  • große/viele Anlagen mit Elektrolyseuren und Verdichtern sind notwendig
  • Häfen benötigen für den Transport bei minus 253 Grad Anlagen zum kühlen und verflüssigen
  • Ankunftshäfen benötigen Anlagen zur Rückwandlung und weiterer Transport mit Pipelines oder LKWs ist nötig
  • Nicht nur aus Norwegen, Kasachstan und Kanada soll Wasserstoff bezogen werden, sondern auch aus einigen afrikanischen Ländern, wie dem Senegal, Nigeria, Namibia, dem Kongo und Angola.

Gerade in dem Kontinent, der von den Dürren als Folge des Klimawandels seit Jahrzehnten am stärksten betroffen ist, wo über 20 Millionen Menschen inzwischen wegen den Klimaschäden als Flüchtlinge leben müssen, soll es eine neue nur Europa dienende Herrschaft der Wasserstoff-Produktion geben.

Beispiel Namibia: unter Beteiligung von deutschen Firmen mit Namibias Regierung wurde ein Abkommen zur Produktion von Wasserstoff abgeschlossen. Dieser soll dort viel günstiger als in Deutschland/Europa produziert werden. Das Projekt hat ein Investitionsvolumen von 10 Milliarden Dollar, was dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von Namibia entspricht.
Errichtet werden soll eine der größten Wasserstoff-Anlagen weltweit auf einer Fläche von 100 km Länge, einer Breite von 80 km. Dort sollen 600 Windräder und zwei große Photovoltaik-Parks gebaut werden. Der Strombedarf der Fabrik für die Elektrolyse liegt bei jährlich 7000 Megawatt – im Gegensatz dazu verbraucht Namibia derzeit 600 MW jährlich.

Zur Deckung des hohen Wasserbedarfs wird an der Küste eine große Meerwasser-Entsalzungsanlage mit Pipelines zur Elektrolysefabrik gebaut. Jährlich sollen 2 Millionen Tonnen Wasserstoff produziert werden. Für den Export wird der größte Teil davon in Ammoniak umgewandelt und so nach Deutschland/Europa verschifft. Gelockt wird Namibia mit Verdienstmöglichkeiten und bis zu 3000 Arbeitsplätzen durch die Anlagen. Namibia ist dünn besiedelt und hat nur 2,6 Millionen Einwohner. In der Nähe der neuen Fabrik liegt der Ort Lüderitz, wo die deutsche Kolonialherrschaft ihre Lager hatte und 100.000 Herero und Nama ermordet wurden.

Und jetzt am 20.07.24 folgendes geschehen ist (siehe TAZ Berlin)
Verhöhnung statt Versöhnung
Der Vizefraktionschef der NRW-AfD posiert vor einem Soldatengrab in Namibia. Die Landtagsreise sollte der Aufarbeitung der Kolonialzeit dienen. Es ist eine gezielte Provokation. Sven Tritschler, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der AfD im nordrhein-westfälischen Landtag, veröffentlichte vergangenen Sonntag ein Foto in seiner Instagram-Story. Es zeigt den ehemaligen Bundeswehrsoldaten bei einer Kranzniederlegung vor dem Grab eines Offiziers der deutschen Schutztruppe in Namibia. Das Foto unterlegte er mit dem national-heroischen Kriegslied „Ich hatt' einen Kameraden“. Doch Tritschler war nicht etwa privat in Namibia, sondern Teil einer fraktionsübergreifenden Delegation des nordrhein-westfälischen Landtags, die sich der kolonialen Vergangenheit Deutschlands stellen wollte.
(Info: es gibt ein Bündnis gegen Rechts in Ludwigsburg: https://buendnisgegenrechtslb.wordpress.com)

Brennelementefabrik in Lingen
In Lingen wurden vom Betreiber Verträge für eine Erweiterung mit dem russischen Atomkonzern Rosatom abgeschlossen. Die Kapazität reicht heute bereits um 35 europäische Atomkraftwerke mit neuen Brennstäben zu versorgen. Zukünftig will Rosatom dann von Lingen aus AKWs seiner Bauart mit Brennstäben versorgen.
Dagegen gab und gibt es bundesweiten Protest, es wurden über 11000 Einwendungen gesammelt und bei der Aufsichtsbehörde eingereicht. Demnächst findet dazu eine öffentliche Anhörung statt.

Atomkraftgegner*innen von Lingen und ausgestrahlt haben nun herausgefunden, dass in Lingen bereits eine Lagerhalle angemietet wurde, in der importierte Maschinen aus Russland stehen. Dort arbeiten auch bereits Menschen aus Russland an der Vorbereitung der Erweiterung der Produktion in Lingen. Dies alles geschieht, obwohl es überhaupt noch keine Genehmigung dazu gibt, es wurden bereits Fakten an den bestehenden Gesetzen vorbei geschaffen. Weiterer Protest ist angesagt!

Und nun die Frage: Energiewende wie weiter?

Liebe Energiewender*innen,
die erneuerbare Stromproduktion liegt bereits bei fast 60%. Und von den 29.000 Windrädern an Land und von den 3,5 Millionen Photovoltaikanlagen gehören den Energiekonzernen nur knapp 6%. Als sich die Energiewende ab 2010 in Deutschland sprunghaft entwickelt hat und die jährlichen Ausbauzahlen den regenerativ und umweltfreundlich erzeugten Strom zu neuen Rekordmarken brachten, sind die fossilen Konzerne massiv ins politische Geschehen eingestiegen. Diese haben durch ihre Einflussnahme die Politik zu den Ausbremsgesetzen und somit damals die dezentrale Energiewende zum Erliegen gebracht.
Mit den Turbulenzen durch Putins Angriffskrieg, durch gesellschaftliche Probleme wie Inflation, bezahlbarer Wohnraum und das bewusste Schüren von Ängsten wird ein gesellschaftliches Klima geschaffen, in dem die Unsicherheit, wie es weiter geht, dominiert. Mit der Schuldzuweisung an die Migration wird von deren Ursachen wie Klimawandel und Ausbeutung von Natur und Staaten wegen den Rohstoffen bewusst abgelenkt. Nutznießer sind die AfD und andere rechtsradikalen und alle demokratiefeindlichen Kräfte.

Und im Energiebereich erwarten die weltweiten fossilen Konzerne mit den höchsten Gewinnen seit Jahrzehnten. Sie haben ihren Einfluss erweitert und gestalten wieder direkt in der Politik mit. Sichtbar wird dies bei Terminals für Gas- und Ölgeschäfte und vor allen Dingen beim Thema Wasserstoff mit neuen Großstrukturen für viele Jahrzehnte.
Wenn diese Pläne realisiert werden, fährt die Energiewende, der Klima- und Umweltschutz an die Wand.

Gegenhalten können wir mit unserem begrenzten Einfluss auf lokaler Ebene und indem wir größere bundesweite Gruppen und Organisationen der Energiewende unterstützen.

Es geht es bei der Energiewende immer um die direkte Nutzung von Strom und Wärme aus Erneuerbaren, die keine Umwandlungskaskade benötigen, an der Konzerne beteiligt sind. Ein Beispiel: Die Strommenge für 100 km: Elektromotor 18 KWh, Wasserstoff/Brennstoffzelle 54 KWh, synthetischer Kraftstoff 115 KWh.
Und wir brauchen Wind und Photovoltaik, vorwiegend auf regionaler Ebene geplant und umgesetzt, und überregional eingebunden.  Hauptakteure sind alle Bürger*innen die sich engagieren, Energiewendevereine und vor allen Dingen Stadtwerke und die Industrie, die das Ganze anregen und realisieren. 

Wir wünschen trotz der politischen Turbulenzen einen schönen Sommer. Erholt Euch und bleibt aktiv.

Beste Anti-Atom und Energiewende Grüße
vom Aktionsbündnis