Jahresrückblick des Aktionsbündnis CASTOR-Widerstand Neckarwestheim
(17.12.2022) Vor einem Jahr startete die neue Ampel-Regierung von SPD, Grünen und der FDP mit einem Koalitionsvertrag, der das Motto hatte: „mehr Fortschritt wagen“. Energiepolitisch sollte ein neuer Kurs eingeschlagen werden, indem die Energiewende stark beschleunigt und am Atomausstieg festgehalten wird.
Seit Putins Krieg gegen die Ukraine sind viele der im Koalitionsvertrag angekündigten Vorhaben und Ziele der Regierung „zerstoben“. Es rächt sich bitter, dass die längst mögliche Energiewende seit vielen Jahren politisch ausgebremst und stattdessen die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas noch erhöht wurde.
Und jetzt? Statt mit den klimafreundlichen und kostengünstigeren erneuerbaren Energien erst recht voll durchzustarten, wird von der Ampel-Regierung und dem grünen Wirtschaftsminister in Europa und weltweit nach neuen fossilen Lieferanten gesucht. Die fehlenden russischen Öl- und Gaslieferungen sollen in vollem Umfang mit Abnahmezusagen für mindestens 20 Jahre ersetzt werden. Dieses Vorgehen verhindert eine rasche weitere Energiewende, verhindert das Einhalten der Klimaziele.
Wir erleben eine neue rückwärtsgewandte Atom- und fossile Energiepolitik:
- mit dem „grünen Label“ der EU-Taxonomie für Atom und Gas. Atom wird von der Ampel-Regierung „geduldet“, das grüne Label für Gas sogar befürwortet
- statt Atomausstieg gibt es Laufzeitverlängerungen für alle drei Atomkraftwerke
- FDP und CDU/CSU wollen diese für mehrere Jahre, und sie wollen außerdem noch umweltschädlich Fracking in Deutschland durchsetzen
- der Zubau von neuen Windrädern kam in 2022 vollends zum Erliegen, eine Wende ist nicht in Sicht
- für viele Milliarden Euro werden neue fossile Infrastrukturen geschaffen, mit finanzieller Unterstützung weltweit neue Öl- und Gasfelder erschlossen. Und dies wird mit jahrzehntelangen Abnahmeverträgen garantiert
- es gibt weitere Milliarden-Förderung für klimaschädliches Flüssiggas und LNG-Terminals. Diese ebenfalls mit Garantien für jahrzehntelange Verträge, das alles auch mit undemokratischen Staaten. Die EnBW hat bereits einen Flüssiggas-Vertrag mit Lieferungen von 2026 bis 2046(!) aus den USA abgeschlossen
- Wasserstoff soll nicht nur aus Kanada und Norwegen bezogen werden, sondern ebenfalls mit Milliarden Förderung aus vielen afrikanischen Ländern wie Senegal, Nigeria, Angola. Also aus Regionen, wo die Menschen bereits seit langem massiv unter dem Klimawandel leiden und dringend eine eigene erneuerbare Infrastruktur benötigen
Liebe Atomkraftgegnerinnen, liebe Atomkraftgegner,
das Jahr 2022 hatten wir uns alle sicherlich ganz anders vorgestellt!
Natürlich hat der Angriffskrieg auf die Ukraine energiepolitisch in Europa und weltweit alles „auf den Kopf“ gestellt. Für eine von SPD und Grün geführten Regierung ist es jedoch ein politisches Armutszeugnis, dann als wichtigste Tat die 100 Milliarden Aufrüstung der Bundeswehr durchzuführen und damit eine jahrelange Rüstungsspirale in Gang zu setzen. Dringend notwendig ist aufgrund der bestehenden Konflikte weltweit das genaue Gegenteil, vor allen Dingen eine atomare Ab- statt Aufrüstung!
Dann kam noch die vollkommen unnötige Laufzeitverlängerung der AKWs, mit der die Tür weit geöffnet wurde. Und energiepolitisch der Rückwärtsgang, mit vielen weiteren Milliarden voll auf eine neue große fossile Infrastrukturen zu setzen. Wasserstoff und Flüssiggas sind mit einem großen technischen Aufwand verbunden. Wasserstoff hat viele Umwandlungsverluste, benötigt sehr viel Wasser und wird derzeit fast ausschließlich mit fossilem Strom hergestellt, Fracking-Gas verseucht mit Chemikalien die Umwelt. Beide sind klimaschädlich. Die direkte Anwendung von Strom und Wärme aus Erneuerbaren ist viel effektiver, klimafreundlich und kostengünstiger.
AKW-Laufzeitverlängerungen: warum überhaupt und was wurde vereinbart?
Auch der zweite Stresstest unter Beteiligung der Netzbetreiber hat ergeben, dass es in Deutschland auch im Winter keine Problem mit der Stromversorgung gibt. Die drei noch laufenden AKWs produzieren nur noch 5% des Stroms. Ihr Weiterbetrieb kann auch nicht das selbstverschuldete Gas- und Wärmeproblem lösen. Jetzt müssen als Scheinbegründung eventuelle Probleme bei der Netzstabilität und das durch den Ausfall von vielen AKWs im Nachbarland Frankreich verursachte Stromproblem herhalten. Scheinheiliger geht es nimmer, damit die Diskussion um weitere jahrelange Laufzeitverlängerungen zu ermöglichen.
Aber es kommt noch dicker. Zu den Laufzeitverlängerungen wurde vom Wirtschaftsministerium mit den Energiekonzernen ein Eckpunktepapier vereinbart. Darin wurde u.a. folgendes geregelt:
- Gewinne durch die Laufzeitverlängerung
- Kosten der Konzerne durch die Laufzeitverlängerung
Die Gewinne dürfen die Konzerne alle behalten und zusätzlich alle Mehraufwendungen/Kosten dem Staat in Rechnung stellen. Deshalb hat die EnBW jetzt schon mit dem Jammern vom Mehraufwand durch die Laufzeitverlängerungen und höheren Rückbaukosten angefangen. Die Größenordnung wurde mit einem 3-stelligen Millionenbetrag angegeben.
Die vier Atomkonzerne werden für die Laufzeitverlängerungen und die angeblich höheren Rückbaukosten sicher mehrere hundert Millionen Euro an Ersatz vom Staat erhalten und viele Millionen durch den Stromverkauf als Zusatzgewinn einbehalten!
Urteil vom Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim zu Neckarwestheim
Die von .ausgestrahlt und dem BBMN unterstützte Klage gegen den Weiterbetrieb vom Risse-Reaktor in Neckarwestheim wurde vom VGH jetzt in der Hauptsache verhandelt. Bereits im April hatte der VGH im Eilverfahren dem Weiterbetrieb zugestimmt, so jetzt auch im Hauptverfahren. Die vorgetragenen Sicherheitsbedenken wurden nicht berücksichtigt, sondern den Darstellungen der Atomaufsicht und den Behörden mehr Bedeutung beigemessen. Die Laufzeitverlängerung in Neckarwestheim wurde nicht gestoppt.
EU-Taxonomie und Energiewende in Europa
Warum ist das eigentlich unvorstellbare möglich, dass Atom und Gas ein „grünes Label“ der EU-Kommission erhalten?
Nun, seit 2021 gab es dazu viele Gespräche und Verhandlungen der EU-Kommission mit den Mitgliedsländern. Gerade auch mit Frankreich und Deutschland, aber auch mit vielen osteuropäischen Nationen.
Atom: Es gibt energiepolitisch in der EU eine Atomfraktion, angeführt von Frankreich. Dabei geht es jedoch nicht nur um die 55 AKWs in Frankreich, sondern vor allen Dingen um die militärischen Interessen: an der Atombombe, an Atom-U-Booten, an Atom-Flugzeugträgern. Die AKWs produzieren dazu mit dem Uran und mit dem Plutonium die Voraussetzungen.
Es gibt aber auch viele Länder, wie beispielsweise Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei usw., die aus politischen Gründen Interesse an AKWs haben, weil der militärische Bereich dann möglich ist.
Und in Deutschland hat die große Koalition von CDU/SPD und jetzt auch die Ampel klar signalisiert, dass sie das grüne Label für Atom „akzeptieren und dulden“. Es gibt auch Politiker die für eine europäische atomare Bewaffnung unter Beteiligung von Deutschland sind. Nur in politischen Sonntagsreden wird dezent gegen das grüne Label für Atom gesprochen, aber auf der EU-Ebene nichts unternommen.
Kohlefraktion: Deutschland ist in der EU der größte Braunkohle-Verstromer und von den 10 größten europäischen Kraftwerken stehen 7 in Deutschland. Damit hat das Land Platz Nummer 1 beim CO2 -Ausstoß!
Dann haben vor allen Dingen viele osteuropäische Nationen Steinkohlekraftwerke. Gerade auch Länder wie Polen, Ungarn usw. wollen noch möglichst lange auf Kohle setzen. Mit Energiewende und Umweltschutz haben ihre rechtspopulistischen, reaktionären Politiker nichts am Hut.
Aber welchen Deal strebt die EU-Kommission mit der Kohlefraktion an?
Na, ganz einfach. Statt Kohlekraftwerke soll es mit Milliarden an EU-Fördergeldern neue Gaskraftwerke geben! Und da mischt Deutschland ganz vorne mit. Auch im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung ist ausdrücklich die Subventionierung von neuen Gas- statt Kohlekraftwerke aufgenommen. Und im sogenannten Kohleausstieg, der mit 40 Milliarden subventioniert wird, gibt es ebenso die Möglichkeit für die Energiekonzerne, sich hunderte von Millionen für den Umbau eines Kohle- in ein Gaskraftwerk zu besorgen. Dies hat die EnBW für Kohlekraftwerke in Heilbronn bereits beantragt.
Liebe Energiewenderinnen, liebe Energiewender,
dies ist der Hintergrund, warum Atom und Gas das grüne Label der EU-Kommission erhält. Denn dann gibt es dazu Gelder aus EU-Töpfen und alle hoffen, dass dann auch Investoren wegen der „Klimaneutralität“ einsteigen und Milliarden für Atom- und Gaskraftwerke ausgeben.
Dies vor allem auch Frankreich, wo die Hälfte der AKWs inzwischen unterschiedliche Sicherheitsprobleme haben. Der Atomkonzern EdF hat bereits seit dem letzten Jahr 60 Milliarden Euro Schulden, in diesem Jahr sind aufgrund der AKW-Probleme weitere 20 Milliarden hinzukommen. EdF überlebt nur noch, weil der französische Staat die Mehrheit übernommen hat und Milliarden Hilfen gewährt.
Energiewende in Europa?
Nur verbal wird von der EU-Kommission und führenden Politikern in Europa die Klimawende bis 2045 gefordert und propagiert. Das Handeln ist immer noch auf die Unterstützung von Atom- und fossilen Konzernen ausgerichtet. Die von der EU definierten Ziele zu einer Energiewende bis 2030 und 2045 sind eine Bankrotterklärung und werden die Klimaziele nicht ermöglichen. Dabei gibt es in Europa viele Küstenstaaten und sonnenreiche Länder. Gerade auch Frankreich, wo es überhaupt kein Problem ist, sogar kurzfristig mit Wind- und Sonnenenergie eine erneuerbare Energiewende zu realisieren.
Neuer Bericht Weltklimarat / IPCC vom April 2022
Auf der Grundlage von vielen Wissenschaftlern, die weltweit seit Jahrzehnten zu den Ursachen der Klimaveränderung arbeiten, wurde im April die neue Studie vorgelegt. Von 2010 bis 2019 sind die weltweiten Emissionen gestiegen, statt dass sie wie vorgesehen reduziert wurden.
Dies hat gravierende weitere Auswirkungen auf das Ökosystem und die Biosphäre. Fakt ist, dass die bis jetzt beschlossenen Maßnahmen (die nicht einmal eingehalten werden) nicht ausreichen, die Erderwärmung auf 1,5 oder 2 Grad zu begrenzen. In Europa wurden bereits die 2 Grad erreicht.
Die Folgen mit Hitze, Dürren, Starkregen, Überschwemmungen, Auswirkungen auf die Landwirtschaft usw. werden noch stark zu nehmen. Der Bericht fordert deshalb in einer Handlungsanleitung Sofortmaßnahmen innerhalb von wenigen Jahren real umzusetzen.
Dies sind unter anderem:
- eine Senkung der Emissionen in allen Sektoren
- der Umstieg auf alternative Energieträger
- Energieeffizienz und Einsparungen
- die grundlegende Veränderung der Produktionsprozesse
Die mediale Berichterstattung über Aussagen des Weltklimarates war nur gering, über wenige Tage und politisch wurde und wird der Bericht ignoriert und nicht bei Entscheidungen berücksichtigt.
Weitere Energiewende in Deutschland?
Beim Strom produzieren die Erneuerbaren bereits 50% der Nettostromerzeugung. Wäre der weitere Zubau von neuen Energiewende-Anlagen nicht politisch ausgebremst worden, würden wir uns bereits in den nächsten Jahren der 100%-Marke nähern.
Aber selbst im seit 11 Jahren Grün regierten Baden-Württemberg ist die Windenergie ein Scherbenhaufen. Wir sin unter den Flächenländern in Deutschland immer noch das Schlusslicht mit der roten Laterne! Und die Erfolge beim Wind und der Photovoltaik sind den vielen Aktiven im Bereich Bürgerenergie, also den Genossenschaften, den Solarvereinen, vielen Mittelständlern, den Bürger*innen mit Solarenergie auf ihren Dächern und Stadtwerken, die eine Energiewende wollen, zu verdanken.
Jetzt gibt es seit Juli die bundesweiten neuen Gesetze. Hier das Wesentliche aus unserer Sicht:
- die Ausbauziele werden deutlich erhöht, sind jedoch insgesamt viel zu niedig angesetzt
- der Ausschreibungszwang für jedes Windrad/Windpark und große PV-Anlagen bleibt leider bestehen. Eine rasche weitere Energiewende ist nur ohne diesen möglich!
- die Energiewende erhält rechtlich den Status, dass sie „im besonderen öffentlichen Interesse“ sei
- Natur- und Artenschutz sind unzureichend und bürokratisch neu geregelt
- Flächenbedarf für Wind hat als Ziel jetzt 2% der Landesfläche, dieses leider erst bis 2027 und erst ab 2032 verbindlich
- Bürgerenergie wird in bestimmten Umfang von Ausschreibungen ausgenommen
- die Einspeisevergütungen für PV wurden verbessert, jedoch wird „Eigenbedarf“ und Einspeisung mit einer niederen Vergütung bestraft. Dies ist weiter ein Bremsklotz, der weg muss
- die Stromweitergabe an Dritte und der Mieterstrom sind immer noch viel zu bürokratisch geregelt
Notwendig für die weitere Energiewende ist auch, dass der Bund, die Länder und die Kommunen mit Investitionen in Milliardenhöhe für Photovoltaik und Solarthermie auf allen geeigneten Dächern und Flächen wie beispielsweise Parkplätzen, Überständern usw. voll durchstarten. So können kurzfristig bereits ab 2023 fossile und klimaschädliche Energien eingespart werden.
Bürgerenergie muss sich nicht an Ausschreibungen beteiligen
Sie erhält bei der Windenergie eine Standardvergütung aus dem Durchschnitt der höchsten Gebote des Vorjahres von den Ausschreibungen. Es können Windenergieanlagen bis zu 18 MW errichtet werden, Solaranlagen bis zu 6 MW. Es gibt Zuschüsse für die Planungskosten von bis zu 200.000 Euro. Allerdings bleibt eine unverständliche Ausbremsregel bestehen, indem nur alle drei Jahre neue Anlagen desselben Moduls errichtet werden können.
Hier gilt wie in der Vergangenheit: mit der Bürgerenergie muss ab sofort wieder voll durchgestartet werden! Es gibt jetzt auch im Kreis Ludwigsburg Initiativen, die neue Windräder bauen wollen. Sowohl mit ganz neuen Planungen wie auch an Standorten, die in der Vergangenheit ausgebremst wurden.
Auch neue und weitere Photovoltaik-Anlagen auf großen Flächen sollten rasch geplant und realisiert werden. Wer Interesse hat, sollte sich hier aktiv einbringen, diese Energiewende - Anlagen zu realisieren. Genauso wichtig ist es, diese Projekte dann finanziell zu unterstützen. Also, los geht’s!
Was steht an – wie geht es 2023 weiter?
Notwendig ist es, weiter gegen die AKW-Laufzeitverlängerungen zu protestieren und Aktionen durchzuführen. Wichtig ist es, die weitere Energiewende trotz des politischen Gegenwinds rasch voran zu bringen. Bringt Euch ein!
Hier in Neckarwestheim gibt es bereits folgende Planungen für 2023:
- am Neujahrstag, 1. Januar findet um 14 Uhr ein kurze Banner-Protest-Aktion gegen die Laufzeitverlängerung am AKW Neckarwestheim statt
- am Sonntag, den 5. Februar machen wir im Aktionsbündnis den nächsten Info- und Protest-Sonntagsspaziergang. Treff ist um 14 Uhr am Wanderparkplatz „Schöne Aussicht“. Infos erhaltet Ihr Mitte januar hier auf unserer Homepage
- am Fukushima Jahrestag, dies ist der Samstag 11. März, findet eine Anti-Atom und Energiewende-Demo statt. Auftakt ist um 13 Uhr am Bahnhof in Kirchheim/Neckar, Demo zum AKW und dort Kundgebung und Infostände
Macht´s gut, bleibt gesund und aktiv.
Wir wünschen Euch zum Jahresende erholsame Tage und alles Gute für 2023!