b_215_215_16777215_0_0_images_stories_akt11_0425ts_bilder_MILCHTUETE-1.JPG„Statistiker rechnen aus, was es kostet, und Politiker entscheiden dann, was sie sich leisten können. So entstehen Grenzwerte. Auch für radioaktive Belastungen. Das war in der UdSSR so. Und so ist es auch bei uns.“

Professor Edmund Lengfelder, Strahlenmediziner aus München.

 

 

Die heißen Trümmerstücke des Reaktors von Tschernobyl bedeckten direkt ein Gebiet von mehr als 5000 km² mit Radionukliden, die menschliches Leben dort für immer unmöglich machen. Über dieses Gebiet hinaus wurden Trümmerpartikel, Aerosole und gasförmige Radionuklide freigesetzt, die zu schweren radioaktiven Verseuchungen in Schweden, Finnland, Polen, ehemalige Tschechoslowakei, Rumänien, Ungarn, Türkei, Österreich, Griechenland, Italien, Schweiz, Frankreich, Deutschland und weiteren Ländern führten.

Nach dem Supergau wurden weite Teile Weißrussland, der Ukraine und der anliegenden Regionen Russlands zu ökologischen Katastrophengebieten erklärt. Etwa 200.000 Quadratkilometer gelten dort bis heute als hoch belastet. Fast ein Viertel der Fläche Weißrusslands wurde radioaktiv verstrahlt, dort leben über 2,2 Millionen Menschen. In Weißrussland hätte eigentlich ein Fünftel der landwirtschaftlichen Fläche wegen langlebiger Radionuklide stillgelegt werden müssen.

Hätte, sollte, müsste....

Evakuierungen

Als am 2. Mai die 30 km Sperrzone um Tschernobyl geschaffen wurde, war in diesem Gebiet noch keine richtige Messung der Radioaktivität vorgenommen worden. Sie wurde politisch festgelegt. Die Menschen evakuiert und landwirtschaftliche Tätigkeit verboten. Das Vieh wurde mitgenommen.

Im Juni wurden Messungen außerhalb der Sperrzone durchgeführt, was zur Evakuierung von 80 – 100 km entfernt liegenden Dörfern führte. Selbst in 200 km entfernten Gebieten, hätten eigentlich Evakuierungen vorgenommen werden müssen. Die Diskussion um die Notwendigkeit von weiteren Evakuierungen geht weiter und beschäftigt sogar bis 1991 noch den obersten Sowjet. Immerhin war es am 7. Juli 1990 zur ersten Demonstration in der Geschichte der Sowjetunion innerhalb des Moskauer Kreml gekommen. Bewohner aus radioaktiv verseuchten Gebieten Weißrusslands entrollten innerhalb der Kremlmauern Transparente und forderten vom KPdSU-Parteitag eine politische Stellungnahme, Messgeräte und eine bessere Versorgung der Strahlenopfer.

Die Zahl der evakuierten Menschen war zuerst mit 135.000 aus 75 Orten angegeben worden, später wurde sie auf 115.000 Menschen reduziert, dafür aber aus 137 Orten. Dabei wurden allein aus Pribjat, der 4 km von Tschernobyl entfernten Trabantenstadt,  40.000 Menschen evakuiert. Im Jahr 1991 wurden in der Ukraine weitere 119.000 Menschen wegen der hohen radioaktiven Verseuchung umgesiedelt. Insgesamt mindestens 600.000 Kühe und ebenso viele Schafe, Pferde oder Schweine evakuiert und natürlich später geschlachtet und gegessen. (Es grüßt das Molkepulver mit den hohen radioaktiven Werten im Westen, das Jahre später in Schokolade und  anderen Lebensmitteln verarbeitet wurde) Es sollen 500.000 Kubikmeter Erde im Rahmen von Dekontaminierungsarbeiten auf den landwirtschaftlichen Flächen abgetragen und irgendwo entsorgt, sprich eingegraben worden sein. Fakt ist, dass immer noch mehrere Millionen Menschen gezwungen sind, in verseuchten Gebieten zu Leben und dort auch Landwirtschaft betrieben wird.

Verlässliche Zahlen über das Ausmaß der radioaktiven Verstrahlung in der ehemaligen Sowjetunion gibt es bis heute nicht. Hatten auch die Verantwortlichen im Westen nie ein Interesse daran. Das Meiste was bekannt wurde, verdanken wir vielen mutigen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, die es in Büchern und Filmen veröffentlichten und dokumentierten. Dabei Angst haben mussten ins Gefängnis zu wandern oder sogar persönlich bedroht wurden. Ebenso einigen Fachleuten und Aktivisten aus dem Westen.


> weiterlesen: Langzeitfolgen und Strahlentote