Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow - Dannenberg e.V.
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Presseerklärung 5.09.09
"Wir schreiben Anti-Atom- Geschichte!" - Eindrucksvolle Demo und
Kundgebung in Berlin
BI Umweltschutz zieht positive Bilanz

Schon der Auftakt in Gorleben bei der Verabschiedung des Trecks nach Berlin
geriet fulminant, Menschen beklatschten und umjubelten den bunten Anti-
Atom-Konvoi auf der Strecke, schließlich ein grandioser Abschluss auf der Anti-
Atom-Demo in Berlin mit mehr als 400 Traktoren, Themenwagen und mehrere
Zehntausend Demonstranten. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-
Dannenberg (BI) zieht entsprechend eine positive Bilanz: "Wir schreiben
Geschichte, Anti-Atom-Geschichte! Wer glaubt hat, dass mit dem Thema
Energiepolitik und Atom niemand mehr hinter dem Ofen hervorzulocken ist, der
wurde heute eines Besseren belehrt." Das politische Konzept, als
außerparlamentarische Kraft im Schulterschluss mit Umweltinitiativen dafür zu
sorgen, dass sich die politischen Parteien zum Thema Atomausstieg, zu
Gorleben und für den massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien
positionieren, sei voll aufgegangen.

"Vielen Menschen wird klar, die Atomkraft behindert den forcierten Ausbau
der Erneuerbaren Energien. Und die Katastrophenmeldungen aus der Asse und
Morsleben graben sich ins Gedächtnis ein, es gibt weltweit kein sicheres
Endlager. Die Wahrheit zu Gorleben setzt sich nach 30 Jahren beharrlicher Arbeit
der Umweltbewegung endlich durch, dieser Standort ist geologisch unmöglich
und politisch verbrannt. Reaktorrisiko plus Entsorgungslüge gleich
Sofortausstieg", bringt es BI-Sprecher Wolfgang Ehmke auf eine kurze Formel.

Es sei zwar klasse, dass sich SPD, Grüne und Linke zum Atomausstieg und
Gorleben positionieren.
"Doch nach der Wahl ist vor der Wahl, wir messen die Politiker nicht an ihren
Wahlversprechen, sondern an ihren Taten. Egal, welche Partei am 27.
September die Wahl gewinnt, mit uns als außerparlamentarischer Kraft muss
man rechnen. Wir werden keine faulen Atomkompromisse hinnehmen, wir
fordern den sofortigen Rückbau des Bergwerks in Gorleben."

Wolfgang Ehmke 0170 510 5606

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Frankfurter Rundschau, 4.9.09

Kernkraftwerk Neckarwestheim
AKW angeblich sicher

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hat dem baden-württembergischen
Kernkraftwerk Neckarwestheim ein gutes Zeugnis ausgestellt. Das 33 Jahre alte
Atomkraftwerk sei "nach internationalen Maßstäben eine sehr gute Anlage", die
viele Merkmale einer "starken Sicherheitskultur" aufweise, sagte der
IAEA-Verantwortliche Miroslav Lipar am Donnerstag in Karlsruhe.

Das Niveau, auf dem in Neckarwestheim mit der betrieblichen Sicherheit
umgegangen werde, sei "eines der höchsten in der Welt". Der Technikvorstand des
Betreibers EnBW, Hans-Josef Zimmer, sagte, er hoffe, dass das Ergebnis "zur
Versachlichung der aktuellen Diskussion um die Kernenergie beiträgt". Die
Kernkraft sei aus Sicht von EnBW "noch lange Zeit unerlässlich".

In Neckarwestheim gab es zwei aufeinanderfolgende Bewertungen vor Ort in den
Jahren 2007 und 2009. Die in der Zwischenzeit umgesetzten "Hauptverbesserungen"
lägen bei der Arbeitssicherheit, dem Anlagenbetrieb, der Betriebsdokumentation
und der "Kontaminationskontrolle".

Der Reaktor Neckarwestheim I war 1976 in Betrieb genommen worden und ist der
zweitälteste der derzeit 17 produzierenden Atommeiler in Deutschland.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) lehnte im Juni 2008 die vom
Kraftwerksbetreiber EnBW beantragte Laufzeitverlängerung für den Reaktor "aus
Sicherheitsgründen" ab. Eine verwaltungsgerichtliche Klage der EnBW gegen
Gabriels Entscheidung ist derzeit in Mannheim anhängig.

Die umweltpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sylvia
Kotting-Uhl, gab zu bedenken: "Der Bericht der IAEA kann nicht darüber
hinwegtäuschen, dass Neckarwestheim I zusammen mit Brunsbüttel und Biblis die
Pannenliste der deutschen Atomkraftwerke anführt." Außerdem sei das AKW trotz
guter Noten von der IAEA nicht ausreichend gegen Terrorangriffe geschützt. (ddp)

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Heilbronner Stimme, 02.09.09

> Aufruf zur Teilnahme an Anti-Atom-Demo

Von Andreas Tschürtz

Region Heilbronn - Die regionale Anti-Atom-Bewegung ruft zur Teilnahme an der
zentralen Demonstration am Samstag in Berlin auf. „Um deutlich zu machen, dass
nicht über die Köpfe der Bevölkerung hinweg so gefährliche Dinge betrieben
werden dürfen“, erklärt Franz Wagner vom Aktionsbündnis Energiewende Heilbronn.
Mit Wagner reisen auch Mitglieder des BUND, des Bunds der Bürgerinitiativen
Mittlerer Neckar (BBMN) und des Aktionsbündnisses Castor-Widerstand
Neckarwestheim in die Hauptstadt – um einige zu nennen. Eine organisierte
Anreise gibt es aber nicht.

Pannenserie

Rückenwind erhält die Bewegung durch die Serie von Meldungen über Fehler bei der
Entsorgung von Atommüll: Die Regierung Kohl soll Gutachten zur Tauglichkeit von
Gorleben als Endlager manipuliert haben, in Asse wurde massiv gegen
Strahlenschutzauflagen verstoßen, dazu dringt Wasser in den angeblich trockenen
Salzstock ein und in Morsleben drohen neue Stolleneinstürze.

„Ich bin sicher, dass viele Leute bei Kernenergie ein ungutes Gefühl haben“,
sagt Wagner. „Aber sie glauben, es kommt ja doch Schwarz-Gelb und es geht
weiter.“ Daraus zu schlussfolgern, man brauche sich nicht um das Thema zu
kümmern, sei falsch. Schließlich liege der Atommüll auch vor Heilbronns
Haustüre. Dazu kommentierte unlängst ein Leser auf stimme.de: „Wir haben unser
Endlager schon, auch wenn es nur Zwischenlager genannt wird.“

Zwischenlager

Seit Dezember 2006 werden auf dem Gelände des Kernkraftwerks Neckarwestheim
ausgediente Brennelemente aus den beiden GKN-Blöcken eingelagert. Derzeit
befinden sich 32 Castoren mit zusammen 606 Brennelementen im Zwischenlager. Nach
EnBW-Angaben kommen jährlich fünf bis sechs Behälter dazu. Bis 2046 – dann endet
der genehmigte 40-Jahres-Zeitraum – könnten es 151 werden. Dass tatsächlich nach
40 Jahren Schluss ist, glaubt Franz Wagner nicht. „Es gibt ja kein Konzept für
danach.“


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http://tilery.blogspot.com/2009/08/bei-strahlendem-wetter-am-kernkraftwerk.html

Deutschland, 25.08.2009

Castortransport 1998 - Bei strahlendem Wetter am Kernkraftwerk

Mehr als zehn Jahre sind vergangen. Zeit für einen Rückblick auf die
Anti-Castor-Demonstration am 19. März 1998 in Neckarwestheim

Völlig unerwartet klingelt am Mittwoch, den 18. März 1998, zu später
Stunde das Telefon. Die Nachricht, daß der Castor-Transport um 24 Stunden
vorgezogen wird, erreicht mich. Die Gruppe, mit der ich zur Demonstration nach
Neckarwestheim fahren wollte, trifft sich also schon heute um halb zwölf, in
genau einer Stunde. Leider muß ich mich damit abfinden, erst morgen, mit
der ersten S-Bahn, Richtung Kernkraftwerk zu reisen, da mir meine Eltern
einen Strich durch die Rechnung machen. Schließlich sollte man ausgeschlafen,
mit voller Kraft demonstrieren können. Ich suche nun alle wichtigen Dinge
wie Regencape, Wollpulli, Ersatzkleidung und Personalausweis zusammen und
stelle den Wecker auf 4:40 Uhr. Bevor ich mich schlafen lege, rufe ich noch
kurz einen Klassenkameraden über sein Handy an, der sich bereits am Platz der
Blockade befindet. Später stellt sich heraus, daß das mobile Telefon eines
der wichtigsten Gebrauchsgegenstände für solche Veranstaltungen ist. Noch
ist alles ruhig in der Umgebung des Kernkraftwerks, die ankommenden
Atomkraftgegner werden von der Polizei nur an markanten Stellen wie der
Neckarbrücke bei Kirchheim/Neckar kontrolliert. Es ist die Ruhe vor dem Sturm.

Pünktlich um 4:40 Uhr holt mich mein Radiowecker aus dem Schlaf. Sofort
bin ich wach und greife zum Telefon. Wieder informiert mich mein
handybesitzender Mitschüler über die aktuelle Lage. Es muß wohl kalt gewesen
sein für
alle, die die Nacht ohne Schlafsack verbracht haben. Die Stimmung sei aber
noch entspannt, auch wenn die Zahl der Polizisten ständig steige. Beruhigt,
noch nichts verpaßt zu haben, packe ich meinen Rucksack mit dem Nötigsten
und begebe mich zur S-Bahnstation. Es ist kurz nach Fünf, trotzdem sind mehr
Menschen auf dem Bahnsteig, als ich vermutet hätte. Wer von ihnen wohl vom
bevorstehenden Castortransport weiß? Am Hauptbahnhof steige ich in den Zug
Richtung Heilbronn. Ganz in weißes Segelzeug gekleidet mache ich wohl einen
seltsamen Eindruck auf die Zugführerin, die der einzige Mensch bleibt, der
mir während der Fahrt begegnet. Am Kirchheimer Bahnhof treffe ich die
ersten Gleichgesinnten, die jedoch erstmal den Weg zum nächsten Bäcker
einschlagen. Im Morgengrauen laufe ich die etwa drei Kilometer lange Strecke,
vorbei an Polizeiwagen und Bundesgrenzschutzbeamten. Niemand kontrolliert mich,
keiner fragt mich, nichts. Auf dem Weg kommt mir eine Kolonne von 26
Polizeiwagen entgegen, auf denen, zu meiner Verwunderung, das Kennzeichen von
Freiburg prangt. Was für ein Überaufgebot erwartet mich wohl am Tor 2? Wer von
Kirchheim kommend zum Kraftwerk will, muß zuerst über die extra für die
Atommülltransporte erbaute Neckarbrücke und dann am einem Weinberg
hinaufgehen. Sobald man den Hügel überwunden hat, liegt einem ein Tal zu Füßen, in
dem die Sonne nur sehr selten scheinen kann, da der Wasserdampf des Kühlturms
alles in grauweißen Nebel hüllt. Ein Mann mit Fahrrad nimmt mich den
letzten Kilometer auf seinem Gepäckträger mit. Es geht nur bergab, vorbei am
Personaleingang und der tristen Betonmauer mit Stacheldraht, die das gesamte
Areal umgibt.

Sonnenaufgang zwischen Flötenspiel und Übertragungswagen

Endlich bin ich am Ziel, am Horizont wird es heller, der Sonnenaufgang
kündigt sich langsam an. Auf der Zufahrtsstraße sitzen und liegen etwa 80
Demonstranten, die sich keineswegs von der anwesenden Hundertschaft
beeindrucken lassen, die in einer Reihe stehend den Zugang versperrt. Ein
Übertragungswagen des Fernsehsenders RTL steht mitten im Geschehen; vor ihm sind
Scheinwerfer aufgebaut, um jede Minute aufnehmen zu können. Aus meiner Schule
sind zirka 30 Leute seit 1 Uhr hier, die Müdigkeit steht ihnen im Gesicht
geschrieben. Man hört Gitarren- und Flötenspiel, bis jetzt ist alles friedlich.
Kein einziger gewaltbereiter Autonomer ist zu sehen, die meisten
Anwesenden hoffen, daß das auch so bleibt. Sobald die Sonne zum Vorschein kommt,
wird es spürbar wärmer. Die Polizisten, die die Grenze zwischen Gut und Böse
bilden, werden regelmäßig abgelöst. Nach einigen Stunden sind die Gesichter
der einzelnen Gesetzeshüter vertraut. Es kommt sogar zu ausführlichen
Wortwechseln zwischen Demonstranten und der Polizei. Es gibt da Männer in Grün
aus Karlsruhe, Mannheim, Freiburg und vom Bodensee. Man hat den Eindruck, als
ob das gesamte Polizeiaufgebot Baden-Württembergs in Neckarwestheim
eingetroffen ist. Die Frage nach den dadurch anfallenden Kosten traut man sich
gar nicht erst zu stellen. Beantworten kann sie so oder so niemand, da keiner
wirklich Bescheid weiß. Jeder Polizist, mit dem man spricht, sagt, daß er
halt hier sei, weil er´s müßte. Es scheint fast so, daß manche gar nicht
wüßten, weshalb sie eigentlich hier sind. Auch auf die Frage nach dem
Zeitpunkt des Transportbeginns werden nur Vermutungen ausgesprochen. Uns soll´s
nicht stören. Der momentan bekannte Termin ist 16 Uhr.

Bei Musik Daumen drücken für die Tunnelgräber

Gegen halb elf Uhr trifft ein mit Rapsöl-Diesel betriebener Kleinbus ein,
der einen sehr interessanten Anhänger zieht: eine solarbetriebene
Musikanlage. Die Musik läßt das während des Wartens leicht gesunkene
Stimmungsbarometer schlagartig steigen. Um halb zwölf erreicht uns die
Nachricht, daß sich
zwei Atomkraftgegner unter der B27 zwischen Kirchheim und Walheim in einem
selbstgegrabenen Tunnel festbetoniert haben. Diese Meldung ruft
Verwunderung, aber gleichzeitig auch Begeisterung hervor. Man hört Stimmen, die von
einer List der Polizei sprechen. Um mich von der Wahrheit zu überzeugen,
mache ich mich mit drei Schulkameraden per Anhalter auf den Weg Richtung
Walheim. Tatsächlich stehen schon einige Einsatzfahrzeuge der Polizei am
Straßenrand. Der Tunnel ist etwa fünf Meter lang und hat einen Durchmesser von
ungefähr 80 Zentimetern. Ratlose Polizisten und wißbegierige Reporter stehen
vor dem Eingang des Erdlochs. Mit Hilfe einer Taschenlampe lassen sich
deutlich zwei Paar Schuhe erkennen, ein Rohr für Frischluft ragt aus der
Überraschungstat der beiden Maulwürfe. Nachdem wir alles gesehen haben, trampen
wir wieder zurück zum Kernkraftwerk. Ein Mitglied des Aktionsbündnisses nimmt
uns mit und trägt uns auf, allen Blockierern mitzuteilen, daß die
Neckarbrücke ab 13 Uhr für Fußgänger geschlossen wird. Diese Nachricht deutet auf
die aufkommende Nervosität der Einsatzleitung hin. Der Tunnel hat wohl das
Konzept ziemlich durcheinander gebracht. Als wir den Blockierern vor Tor 2,
deren Zahl auf etwa 200 gestiegen ist, vom Tunnel berichten, erntet die
Untertunnelungsaktion lauten Beifall.

Unterdessen befindet sich ein sogenannter Betreuer und eine
Polizeipsychologin als Vermittler zwischen Demonstranten und Polizei vor Ort.
Die beiden
suchen das Gespräch, vor allem mit Schülern. Nach einigen Sätzen hat man
den Eindruck, sie wollen einem nur ins Gewissen reden, damit einige Zuhörer
den nächsten Zug nach Hause nehmen und sich das Abenteuer im Fernsehen
anschauen statt hier weiter zu demonstrieren. Glücklicherweise machen die beiden
ihren Job so schlecht, daß selbst der ängstlichste Blockierer merkt, was
hier wirklich gespielt wird.

Plötzlich fahren etwa zehn Wannen, das sind größere Polizeibusse, an der
blockierten Einfahrt vorbei. Die bis dahin friedlich wartende Menge fühlt
sich provoziert, und manche beginnen mit ´Haut ab, haut ab!´-Rufen. Im Gelände
des Kraftwerkes sammeln sich zusehends mehr Polizisten, ein Zeichen, daß
der Beginn des Transportes immer näher rückt. Es ist gerade mal halb drei,
die Zahl der anwesenden Reportern und Fernsehteams wächst, der Tunnel unter
der Bundesstraße ist noch lange nicht geräumt. Kein Grund zur Panik also!

Wer jetzt ein Gespräch mit dem Demonstrationsbetreuer der Polizei beginnt
und den Tunnel erwähnt, muß sich wundern: ´Die Schwertransporter fahren da
trotzdem drüber!´ Wie bitte? 130 Tonnen schwere Castoren über eine
untergrabene Straße, bei der niemand genau weiß, wieviel Untergrund weggeschaufelt
wurde? ´Wir halten den Zeitplan ein!´ meint er jetzt. Doch um 16 Uhr tut
sich nichts, was auf den Beginn des Transportes hinweisen könnte. Die
Ablösung der Wach-Hundertschaft ist das einzige Zeichen für die sich zuspitzende
Lage: erstmals am heutigen Tag tragen die Beamten Schlagstöcke, noch lächeln
sie freundlich wie ihre Vorgänger.

Hinsetzen bevor es ernst wird

Trotzdem hat sich was verändert. Langsam aber sicher rücken die Sitzenden
näher zusammen, drumrumstehende Demonstranten setzen sich dazu. Im Innern
des Kraftwerkgeländes sammeln sich unzählige Hundertschaften, teilweise mit
Schlagstöcken, Schutzschilden und Helmen ausgerüstet.

Die Spannung steigt noch mehr, als ein Polizeiwagen mit Megaphon in
sicherem Abstand vor der Sitzblockade hält. Es wird still. Da ertönt eine
quäkende Stimme: ´Achtung, Achtung. Hier spricht die Polizei. Das Landratsamt
Heilbronn...´ Der Rest geht im Geschrei und unter den Pfiffen der Demonstranten
unter. Das war also die erste Aufforderung, die Fahrbahn zu räumen. Keiner
verläßt seinen Platz. Die demonstrierende Menge wächst zusammen,
verschwörende Worte werden gewechselt, jemand beginnt einen monotonen Gesang,
in den
alle einstimmen. Die Fernsehteams kämpfen um die besten Plätze, während
niemand die zweite Aufforderung des Herrn im Polizeiwagen hört. Die Stimmung
ist unbeschreiblich, alles ist so unvorhersehbar spannend. Auch die dritte
Aufforderung geht im Getöse unter. Nach einer kurzen Pause hört man die
Worte: ´Die Polizei wird keine weiteren Anweisungen mehr aussprechen!´ Es kann
losgehen. Hinter der in Reihe stehenden Hundertschaft haben sich Polizisten
in einer Zweierreihe aufgestellt, das kann ja nichts Gutes heißen. Mit
Plexiglasschilden bewaffnete Beamte stellen sich seitlich der Sitzblockade
entlang auf. Einkesseln, schießt es mir durch den Kopf. Doch dann kommt alles
anders.

Je zwei Polizeimeister packen einen Sitzenden und führen oder tragen ihn
weg. Da ich in der zweiten Reihe sitze, bin ich einer der Ersten, die
abgeführt werden. Langsam gehe ich zwischen meinen beiden Abschleppern ins
Ungewisse. Denn was jetzt kommt hätte niemand vermutet. Unsere Personalien werden
aufgenommen, Taschen und Rucksack durchsucht, jeder von uns bekommt
Handfesseln, besser gesagt dicke Kabelbinder um die Handgelenke.

Eine Busfahrt hinter Gittern

Mit Händen auf dem Rücken werden wir gruppenweise zu Gefängniswagen
geführt und reingesetzt. In meinem Wagen, einem total vergitterten VW-Bus, sitzen
bereits ein Freund von mir sowie zwei Studentinnen aus Würzburg. Ein
Kripobeamter aus Heidenheim betreut uns. Er muß den Job des Aufsehers zum Glück
nur einmal im Jahr machen, erzählt er uns. Immer noch gefesselt fahren wir
los. Quer durchs Kernkraftwerk zum Personalausgang hinaus. Vor uns wie
hinter uns Busse mit Gefangenen, die vor kurzem noch friedlich demonstrierten.
Von der Neckarbrücke bis zum Abzweig nach Walheim stehen grüne Männer und
Frauen Schulter an Schulter am Straßenrand. Man fühlt sich so wichtig und
bewacht wie ein Schwerverbrecher. Lange dauert die Fahrt, erstaunlich weit
weg vom Ort des Geschehens werden wir Demonstranten gebracht. Von unserem
betreuenden Kripobeamten erfahren wir unser Ziel: ein Sammellager in einer
Turnhalle in Talheim. Auf dem Parkplatz dieser Sporthalle stehen schon einige
Polizeifahrzeuge. Jetzt zeigt sich, was für Glück wir mit unserem Betreuer
haben, denn wir sind die einzigen Gefangenen, die ihre Rucksäcke öffnen und
vespern dürfen. Sogar das Telefonieren mit dem Handy meines Freundes wird
uns gestattet, während sich die Insassen eines anderen Busses durch
gemeinsames Hin- und Herschaukeln bemerkbar machen, damit wenigstens die
Fahrzeugtür für Frischluft geöffnet wird. Obwohl wir der vierte Bus sind,
müssen wir
fast drei Stunden im ungeheizten Auto warten. Wer in dieser Zeit auf die
Toilette muß, wird von zwei Polizisten vom Wagen abgeholt und bis in die
Kabinen begleitet. Jeder rechnet damit, die Nacht in Gefangenschaft zu
verbringen, da wir warten müssen, bis die Castoren auf dem Schienenweg
Baden-Württemberg verlassen haben.

Endlich sind wir an der Reihe. Erneut werden wir durchsucht, alle
Gegenstände müssen wir abgeben, auch das Geld wird gezählt - bei mir waren es
genau 72 Pfennige - und eingesackt. Nach den bürokratischen Formalitäten wird
unsere Sünderkartei im Computer begutachtet. Leider wird bei keinem unserer
Gruppe ein einschlägiger Gesetzesbruch gefunden. Mein ständiger Bewacher
freut sich auf den lang ersehnten Feierabend - es ist mittlerweile 21:12 Uhr -
und führt mich in die mir riesig erscheinende Turnhalle. Ein wirklich
seltsames Gefühl, ohne Fesseln oder Bewacher zu laufen.

Die Stimmung unter den jugendlichen Castorgegnern ist recht gut, wenn man
bedenkt, daß manche schon seit knapp 40 Stunden ohne Schlaf ausharren. Es
gibt trockenes Brot und Landjäger, die selbe Nahrung für Polizisten und
Gefangene. Wahrscheinlich die einzige Gemeinsamkeit an diesem Tag.


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Boennigheimer Zeitung, 25. AUGUST 2009
>Ärzte gegen Atomkraftwerk

Berthold Spahlinger erinnert an Resolution aus dem Jahr 2007
Die Zukunft der Atomkraftwerke beschäftigt die Menschen. Ärzte fordern seit
langem den Stopp des Kraftwerks Neckarwestheim.
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GKN Neckarwestheim: Block I soll zu schwach sein, um Terrorangriffen standhalten
zu können. Foto: Archiv/Martin Kalb
GKN Neckarwestheim: Block I soll zu schwach sein, um Terrorangriffen standhalten
zu können. Foto: Archiv/Martin Kalb
Berthold Spahlinger, Arzt für Allgemeinmedizin in Hohenhaslach, ist auf der
politischen Bühne im Landkreis kein Unbekannter. Bis vor kurzem war er noch
Kreistagsmitglied und hat in den vergangenen Jahren frank und frei den Finger in
so manch eine Wunde gelegt. Sei es, als es um den Zustand des medizinischen
Personals in den Krankenhäusern ging, sei es beim Thema Atomenergie. Er ist das
ein oder andere Mal übers Ziel hinausgeschossen, werden seine Kritiker
einwenden. Immerhin hatte er ein Ziel, könnte man entgegnen.

Spahlinger, Oberfeldarzt der Reserve und in dieser Funktion seit August 2007
beauftragter Sanitätsstabsoffizier für zivil-militärische Zusammenarbeit im
Gesundheitswesen für das Kreisverbindungskommando im Landkreis, ist
ausgesprochener Gegner des Kernkraftwerks (KKW) in Neckarwestheim.

Ein Kreis aus Ärzten aus dem Stromberg, die sich Ärztlicher Qualitätszirkel
Stromberg oder Hohenhaslacher Tafelrunde nennen, haben in einer Resolution vom
Dezember 2007 die umgehende Stilllegung des Kernkraftwerks Neckarwestheim
gefordert. Dies vor dem Hintergrund einer damals bekannt gewordenen und viel
beachteten Studie, laut dieser die Kinderkrebshäufigkeit im Einzugsbereich von
KKW überdurchschnittlich hoch sei. In der Resolution wird die Kreisverwaltung
scharf angegriffen: "Die Ignoranz und das Desinteresse der Kreisbehörde, die
immer wieder betont, dies sei alles nicht ihre Sache, sind unerträglich und
nicht mit der Fürsorgepflicht eines Landrats beziehungsweise Ersten
Landesbeamten zu vereinbaren." Laut Spahlinger hätten die Behörden darauf nicht
einmal reagiert.

Der Arzt legt nach. Über die permanente Gefährdung durch die Betriebsstrahlung
und eventuelle Lecks hinaus bestehe in jüngster Zeit noch eine viel größere
Bedrohung: "Die Gefahr des provozierten Super-GAUs durch Terroraktionen aus der
asymmetrischen Bedrohung heraus." Er befindet sich damit argumentativ auf der
Linie der Grünen, der Linken, des Bundes für Naturschutz und Umwelt (BUND) oder
des Bundes der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar.

Die Grünen im Landtag haben im Juni Umweltministerin Tanja Gönner (CDU)
aufgefordert, zwei bislang als vertraulich eingestufte Gutachten der
Internationalen Länderkommission Kerntechnik (ILK) aus dem Jahr 2002
offenzulegen. Laut Gutachten könnten von den damals 19 in Deutschland
betriebenen Atomkraftwerken nur drei einer terroristischen Attacke durch ein
Verkehrsflugzeug standhalten. Block I des Gemeinschaftskraftwerks in
Neckarwestheim und auch Phillipsburg I gehörten nicht dazu. Die dortigen Meiler
könnten weder dem Absturz kleiner Kampfflugzeuge noch Terrorangriffen mit einem
Passagierflugzeug standhalten. Die Forderung der Grünen: Die Atommeiler
schneller abschalten.
Redaktion: ARMIN SCHULZ


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Heilbronner Stimme/lsw, 24.08.2009
>Neckarwestheims Meiler wegen Revision vom Netz

Neckarwestheim - Wegen der jährlichen Revision ist Block II des Kernkraftwerks Neckarwestheim am Wochenende vom Netz genommen worden. Während der turnusmäßigen Überprüfung und Instandhaltung werden auch 48 der insgesamt 193 Brennelemente ausgetauscht, wie der Betreiber EnBW am Montag in Karlsruhe mitteilte.

Wie lange die am Samstag begonnenen Arbeiten dauern, sagte eine Sprecherin des Energiekonzerns nicht. Neben Experten der Kraftwerks in der Nähe Heilbronns arbeiteten rund 1100 Angestellte von Spezialfirmen an der Revision mit. Rund 3000 einzelne Aufgaben sind zu erledigen.

Der 1989 ans Netz gegangene Druckwasserreaktor hat eine Leistung von 1400 Megawatt. Zusammen mit dem älteren Block I erzeugt die Anlage am Neckar rund die Hälfte des Strombedarfs in Baden- Württemberg. Der erste Block von 1976 wurde zuletzt im Oktober 2008 gewartet. Er müsste nach den Regelungen des Atomausstiegs spätestens im Frühjahr 2010 vom Netz gehen.

Vor drei Wochen hatten Videos für Aufsehen gesorgt, mit denen ein Ex-Mitarbeiter eklatante Sicherheitsmängel bei dem Atomkraftwerk belegen wollte. Die Atomaufsicht hielt die Vorwürfe jedoch für nicht haltbar. Gegen den Mann ermittelt die Staatsanwaltschaft nach einer Anzeige der EnBW wegen des Verdachts der versuchten Erpressung. Im Juni hatten zudem rund 1600 Menschen für eine Abschaltung von Block I vor dem Kraftwerk demonstriert. lsw
Stuttgarter Zeitung, 03.08.09

> Sicherheitsmängel in Neckarwestheim
> Revolver im Atomkraftwerk

Andreas Müller, veröffentlicht am 03.08.2009
Sogar einen legalen Wanderweg quer durchs Reaktorgelände hat der Undercoveragent Karl.
R. entdeckt. Foto: dpa


Neckarwestheim - Die Frage war ein wenig heikel für die Landesumweltministerin. Ob sie
dem angeblichen "EnBW-Erpresser", der Waffenattrappen und Alkohol ins Kernkraftwerk
Neckarwestheim geschmuggelt haben will, dankbar sei für die Hinweise auf
Sicherheitslücken? Die Atomaufsicht interessiere sich immer sehr dafür, wie
Zugangskontrollen noch verbessert werden könnten, antwortete Tanja Gönner (CDU). Auch
wenn keine Regelverstöße festgestellt worden seien, habe man zusammen mit
Innenministerium und Landeskriminalamt bereits in mehreren Punkten Konsequenzen
gezogen. Welche das seien, dürfe sie aus verständlichen Gründen nicht näher erläutern.
Insgesamt, so Gönner, könne man die Tipps des einstigen Mitarbeiters einer Fremdfirma
durchaus "als hilfreich bezeichnen".

Es ist schon der dritte in diesem Jahr bekanntgewordene Fall, in dem ihren Atomaufsehern
von außen auf die Sprünge geholfen wurde. Erst deckte ein Kleinunternehmer auf, dass man
problemlos mit verschlossenen Paketen ins Kernkraftwerk Philippsburg gelangen konnte. Die
Folge: die Kontrollen wurden umgehend verschärft. Dann meldete ein anonymer Informant,
dass der frühere Reaktorchef und heutige EnBW-Technikvorstand die Sicherheitsregeln für
sich und seinen Fahrer außer Kraft gesetzt habe. Prompt setzte es eine "scharfe Rüge" aus
dem Ministerium.

Was jetzt ans Licht kommt, ist noch erheblich brisanter - und zugleich bizarrer. Im Fall des
Karl R., jenes aus Heilbronn stammenden Mitarbeiters, konzentrierte sich die öffentliche
Aufmerksamkeit zunächst auf den Erpressungsverdacht. Noch am gleichen Tag, da er der
EnBW über seine Erfahrungen in Neckarwestheim berichtete, stellte der Stromkonzern
Strafantrag wegen Nötigung. Begründung: im Verlauf des Gesprächs hätten sich "deutlich
erkennbare Anzeichen" ergeben, dass der "Hinweisgeber" Geld fordere.

Im Vordergrund stand der Hinweis auf Sicherheitslücken


Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen ihn wegen versuchter
Erpressung. Diesen Verdacht scheint auch ein Dokument zu erhärten, das den Fahndern
vorliegt. Doch R.s Anwältin, eine bekannte Strafverteidigerin, spricht von einer
"missverständlichen Formulierung". Ihr Mandant habe keinerlei erpresserische Absichten
gehabt, er habe nur Sicherheitslücken aufdecken wollen.

Die EnBW vermutet noch ein weiteres Motiv: dem Mann sei es auch darum gegangen, in die
Medien zu kommen. In gewisser Weise könnte das stimmen. Karl R. nämlich führt ein
ungewöhnliches Doppelleben. Im Alltag ist der 43-Jährige ein gewöhnlicher Werktätiger, der
sich zum Beispiel als Chemielaborant verdingte. Daneben tritt er, unter einem Pseudonym,
als Illusions- und Entfesselungskünstler auf - etwa bei einer Geburtstagsparty von Paris
Hilton. Als solcher war er Ende 2007 ins "Nachtcafe" von Wieland Backes eingeladen. Dort
traf er auf einen Gast, den er seit langem bewundert: den Enthüllungsjournalisten Günter
Wallraff. Man machte sich bekannt und kam ins Gespräch.

Wallraff als Vorbild


Bei einem von Wallraffs Rechercheprojekten, erfuhr Karl R., ging es um Sicherheitsmängel
in Kernkraftwerken. Das Thema elektrisierte ihn. Der Atommeiler vor den Toren Heilbronns
war ihm seit langem suspekt, und im Bekanntenkreis hörte er merkwürdige Geschichten von
dort. Also heuerte er im Frühjahr 2008 für einige Monate bei einer internationalen
Servicefirma an, die in Neckarwestheim diverse Arbeiten erledigt. Die
Zuverlässigkeitsprüfung für Personal, das auf das Reaktorgelände darf, bestand er trotz
eines nicht ganz makellosen Vorlebens.

Doch den Job als Fahrer und Reinigungskraft betrachtete R. vor allem als Tarnung zum
Recherchieren - ganz im Sinne seines "großen Vorbilds" Wallraff, mit dem er jetzt
kooperierte. Mit versteckter Kamera und Mikrofon dokumentierte der Undercover-Reporter,
wie lax die Kontrollen im Kernkraftwerk seien. Das Material lieferte er bei Wallraff und einem
Kölner Filmproduzenten ab, die es gemeinsam verwerten wollten. Erst als sich die
Zusammenarbeit zerschlug, ging er zur EnBW.

Was R. den, wie er sagt, "fassungslosen" Zuhörern dort berichtete, erfuhr die Öffentlichkeit
nur in knappen Sätzen. Der Mann wolle unerlaubt Gegenstände auf das Reaktorgelände
gebracht haben, darunter Waffenattrappen und Alkohol, teilte Gönners Ministerium mit. Noch
fehlten dafür Belege, doch die Ausführungen über "mögliche Verstecke unter den
Fahrersitzen eines Lieferwagens" seien nachvollziehbar gewesen. Allerdings gehe es nur um
den äußeren Sicherheitsbereich, wird stets betont.

Beim Objektschutz soll es fidel zugehen


Im Detail klingt es noch abenteuerlicher, was R. auch im Gespräch mit der Stuttgarter
Zeitung schilderte. Nur anfangs habe er die Waffen, zwei nicht funktionsunfähige Revolver,
unter dem Sitz versteckt. Nach und nach habe er "immer mehr probiert". Mal hätten sie im
offenen Handschuhfach gelegen, nur hinter Papieren versteckt, mal sogar in einen Lappen
eingewickelt auf dem Armaturenbrett. Nie habe es bei der Einfahrt Probleme gegeben. Auch
Messer und Armeedolche will R. auf diese Weise aufs Reaktorareal gebracht haben.
Mitarbeiter hätten sie ihm in der Maschinenhalle sogar geschliffen, ohne irgendjemanden zu
alarmieren. Solche Freundschaftsdienste seien in der Belegschaft üblich. Zeitweise habe er
über fünf verschlossene Spinde verfügt, in denen man Revolver und Dolche hätte deponieren
können.

Auch Alkohol, berichtet R., lasse sich leicht auf das Reaktorgelände bringen. Dort gilt zwar
ein striktes Alkoholverbot, doch unter den Mitarbeitern des Wachdienstes gebe es erhebliche
Alkoholprobleme. Lager für Bier, Wein und Rum im toten Winkel der Videoüberwachung, von
denen er wissen will, konnte die Atomaufsicht bei Vor-Ort-Terminen jedoch nicht finden.
Beim Objektschutz, behauptet der Rechercheur, gehe es überhaupt recht fidel zu. So diene
die Hochleistungskamera auf dem Kühlturm, mit der man Fernes ganz nah heranzoomen
kann, als "Belustigungsprogramm" - etwa beim Blick in benachbarte Schlafzimmer.

Behauptungen könnten mit Filmmaterial untermauert werden


Gönners Atomaufseher betrachteten den Mann keineswegs als Fantasten. Nach
anfänglichen Schwierigkeiten, in Kontakt zu kommen, mache er einen "offenen und
kooperativen Eindruck", sagt ein Sprecher. Seine Darstellungen würden "ernst genommen"
und erschienen "zumindest zum Teil plausibel". Nur eines mochte man ihm nicht abnehmen:
dass er auch Personen auf das Gelände hätte schmuggeln können, versteckt in Säcken für
Post oder geschreddertes Papier. Da hatte auch Günter Wallraff seine Zweifel. Ursprünglich
sei geplant gewesen, ihn in den Atommeiler einzuschleusen, bestätigte er der StZ. Aber Karl
R. sei ihm für dieses Vorhaben dann doch nicht als geeignet erschienen.

Er habe den Kontakt schon länger "auf Eis gelegt" und nach den Erpressungsvorwürfen
eingestellt, sagt Wallraff. R. wiederum wirft seinem Duzfreund Günter und dessen
Filmproduzenten vor, sie hätten ihn erst benutzt und dann fallengelassen. Besonders erbost
ist er darüber, dass die Filmfirma das übergebene Material - zwanzig Stunden Bild und Ton -
nicht mehr herausgibt. Was EnBW und Atomaufsicht als "Behauptungen" bezeichnen, könne
er damit beweisen.

Wanderwege quer über das Reaktorgelände


Zunächst bemühte sich auch das Umweltministerium erfolglos, an die Videos
heranzukommen. Inzwischen aber zeigt sich der Geschäftsführer der Cologne-Film, Gerhard
Schmidt, kooperativ. In einem Schreiben an die EnBW, mit Kopie an Atomaufsicht und
Staatsanwaltschaft, offeriert er Einsicht in die Dokumente. Man sei bereit, so Schmidt, "Ihnen
das von Herr R. aufgenommene Videomaterial in unseren Räumen Köln, Sachsenring 2-4,
vorzuführen". Ein Besichtigungstermin könne ab 4. August vereinbart werden.

Schon jetzt verdankt Atomaufseherin Tanja Gönner dem "Filmautor" einen weiteren
Erkenntnisgewinn. Ob sie etwas von einem Wanderweg quer über das Reaktorgelände in
Neckarwestheim wisse? Nein, musste die erstaunte Ministerin einräumen. Eine Nachfrage in
ihrem Ressort ergab: die Route existiert tatsächlich, aufgrund uralter Wegerechte. Wanderer
würden vom Wachschutz empfangen und durchs Gelände eskortiert. Alle Versuche der
EnBW, eine Verlegung zu erreichen, seien bisher gescheitert. Vielleicht klappt es ja nun, da
Karl R. das Kuriosum öffentlich gemacht hat.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2149049_0_4035_-sicherheitsmaengel-in-
neckarwestheim-revolver-im-atomkraftwerk.html



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